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Stilsicher im zeitgenössischen Klang schwelgen

ELTVILLE (6. Juli 2011). Deutschland und seine Knabenchöre: Regensburg, Dresden, Hannover, Limburg, Mainz, Stuttgart, Leipzig – die Liga, in der diese Ensembles „spielen“, ist – und das ist zu begrüßen! – groß. Abseits aller Qualitätsunterschiede kann man gar nicht genug goutieren, dass hier Kinder, Jungs und junge Männer singen: Motetten, Passionen, Liturgien und Volkslieder – ein gutes Zeichen!

Im Rheingau Musik Festival war jetzt der Thomanerchor Leipzig zu Gast und damit das älteste, durchgehend bestehende Vokalensemble: 2012 wird es 800 Jahre alt – respektive jung: Die kleinsten Sänger gehen fast als „laufende Meter“ durch, während die „Großen“ in ihrer sächsischen Sängerkarriere schon viel gelernt haben; das mittlerweile weltberühmte Ensemble Amarcord ist aus dem Thomanerchor hervorgegangen und wenn man der selbständig einstudierten Motette „Praeter rereum“ von Josquin Desprez im Kloster Eberbach lauscht, die elf Leipziger Männerstimmen da außerhalb des gedruckten Programms anstimmen, dann ist das Staunen grenzenlos: Hier singen Schüler Vokalmusik des 15. Jahrhunderts in einer engagierten Klarheit, die man kaum erwartet.

Dieses Intermezzo fand übrigens „sine maestro“ statt. Und vielleicht liegt hier der Knackpunkt, warum das Konzert des Gesamtchors nicht genauso überzeugen konnte: Die Thomaner haben zweifelsohne ein unheimlich großes Potenzial, das von Dirigent Georg Christoph Biller, seit 1992 als 16. Thomaskantor nach Johann Sebastian Bach am Pult, nur selten abgerufen wird. Das Dirigat des Chorleiters, der sich (gesundheitsbedingt?) krampfhaft am Rahmen seines Podestes anlehnt, ist statisch und mancher Interpretationsansatz doch eher fragwürdig: Warum wird der Text in Bruckners „Christus factus est“ geradezu skandiert? Warum lässt Biller die Choral-Partien in Bachs „Jesu meine Freude“ Vers für Vers intonieren, anstatt logische Bindungen auszusingen? Scarlattis „Exultate Deo“ wirkt vergleichsweise blass und nur Palestrinas Kyrie und Gloria aus der „Missa sine nomine“ beeindruckt durch eine kunstvoll enge Stimmführung.

Seine Klangpracht kann der Thomanerchor an diesem Abend vor allem im zweiten Teil entfalten, denn hier stehen Motetten des 20. Jahrhunderts, in denen sich die Knaben und jungen Männerstimmen äußerst stilsicher bewegen, auf dem Programm. Das „Lauda, anima mea“ von Volker Wangenheim und der in Verse gefasste Psalm 137 „An den Strömen Babels“ von Manfred Schlenker lassen die Leipziger in seligen Tonclustern schwelgen. Und auch die spröde Atonalität des 23. Psalmes von Günter Neubert wird gemeistert. Wie dieses Resultat nun zustande kommt, wird hier zweitrangig – wichtig für den Zuhörer scheint eher, dass es letztendlich doch zu überzeugen vermag.

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