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Momente anrührender Transzendenz

MAINZ (4./16. Juli 2024). Etwas ratlos verließ man am 4. Juli die Stephanskirche, in der der UniChor des Collegium musicum der Johannes-Gutenberg-Universität gerade sein Semesterkonzert gegeben hatte. Gemessen am frenetischen Schlussapplaus war es sicherlich ein gelungenes Konzert und in der Vergangenheit konnte Dirigent Prof. Felix Koch mit seinen hochambitionierten Sängerinnen und Sängern stets überzeugen. Diesmal machte jedoch die dröhnende Akustik in St. Stephan dem Konzertgenuss einen Strich durch die Rechnung – zumindest kam am Platz des Rezensenten kaum mehr als ein mächtiger Klangwust an, aus dem zuweilen nur hohe Spitzen herauszuhören waren.

Das war schade – umso mehr, weil der UniChor ein Werk von Peter Cornelius aufführte: Die Stadt Mainz gedenkt derzeit des vor 200 Jahren hier geborenen (und vor 150 Jahre verstorbenen) Komponisten, der im musikalischen Bewusstsein der Klassikszene sonst kaum eine Rolle spielt. Auf dem Programm standen seine d-Moll-Messe für Chor und Orgel (hier gespielt von Markus Eichenlaub, Domorganist in Speyer, wo der UniChor das Werk bereits am 29. Juni aufgeführt hatte) sowie die für gleiche Besetzung geschriebene D-Dur-Messe von Antonín Dvořák. Gerne hätte man dieses Konzert rezensiert – doch was man nicht gehört hat, kann man auch nicht beurteilen.

Nicht ohne Bammel besucht man zwei Wochen später das im Rahmen des Mainzer Orgelzyklus stattfindende Semesterkonzert des UniOrchesters im Dom: Dort steht neben der Ouvertüre zur Cornelius-Oper „Der Cid“ mit der dritten Sinfonie von Camille Saint-Saëns ein großartiges Werk auf dem Programm – allerdings wird auch in akustischen Verhältnissen musiziert, die ebenfalls größte Anforderungen an Ausführende und Publikum stellen. Ein Himmelfahrtskommando also?

Mitnichten: Dirigent Felix Koch und sein Kollege Prof. Daniel Beckmann schaffen es sogar, den Raum in ihre Aufführung kongenial einzubinden und die Akustik damit für sich und die Wirkung der Musik zu nutzen. Das UniOrchester musiziert auf einem bis dato selten gehörten hohen Niveau äußerst diszipliniert und doch beseelt vom Klang dieses ergreifenden Werks. Und Domorganist Beckmann fügt sich an der neuen Rieger & Goll-Orgel wie selbstverständlich in den Klang des gewohnt üppig besetzten Orchesters ein. 2013 hatte er Saint-Saëns’ Opus 78 schon einmal im Dom aufgeführt, damals mit dem Philharmonischen Staatsorchester Mainz unter Hermann Bäumer und noch an der Kemper-Orgel; ein Jahr zuvor musizierte Beckmann die Sinfonie mit der von Oleg Caetani dirigierten Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz in der Rheingoldhalle an einem digitalen Instrument.

Auf Initiative des Mainzer Domorganisten wurde in St. Martin in den vergangenen Jahren eine der weltweit größten und modernsten Orgeln installiert, mit der verschiedene Publikumspositionen definiert angespielt werden können. Das funktioniert gerade bei Saint-Saëns atemberaubend: Man hört Akkorde von überall, Orgel und Orchester mischen und trennen sich, das Tongemälde erklingt in unfassbarer Farbintensität. Mag das (übrigens nicht vom Komponisten) als „Orgelsinfonie“ bezeichnete Werk heute auch eher in einem Konzertsaal mit entsprechender Instrumentierung – in der Nähe böten sich das Wiesbadener Kurhaus oder die Alte Oper Frankfurt an – beheimatet sein: Im Mainzer Dom entfaltet es seine Klangpracht auf besonders faszinierende Art und Weise.

So fühlt man sich in den rauschenden Allegro-Partien beider Sätze wie auf hoher See, wird jäh in Wellentäler hinabgerissen und ebenso unvermutet wieder emporgezogen. Es dauert ja etwas, bis die Orgel mittun darf, doch ihr Einsatz berührt zutiefst, so sanft streichen die Akkorde, die dann vom Orchester wieder aufgegriffen werden, durchs Kirchenschiff – Momente von anrührender Transzendenz. Das UniOrchester spielt derart akzentuiert, dass die einzelnen Register (auffallend gut: die Blechbläser) stets durchhörbar bleiben. Und wo nicht, umfängt einen eine (anders als zuvor in St. Stephan) gefällige Klangwolke, aus der Dirigent Koch mit sicherer Hand immer wieder hinausführt.

Prof. Dr. Georg Krausch ist nicht nur Präsident der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, sondern auch bekennender Fan der Arbeit von Felix Koch und seiner Ensembles. Krauschs Treue dokumentiert sich im Besuch jedes Konzerts – das des UniChors hörte er sich sogar in Mainz und Speyer an. In seinen begrüßenden Worten betonte der Hochschulpräsident nun, dass die Mainzer Universität die einzige sei, die ein derartig hochwertiges Orchester habe, in dem (neben wenigen professionellen) vor allem ambitionierte Laienmusiker mitwirkten: „Das merkt man aber nicht.“ Nach dem Konzert im Mainzer Dom kann man dem einfach nicht widersprechen.

Weitere Termine des vom Mainzer Kulturproduzenten Günter Minas initiierten Peter-Cornelius-Festivals 2024 der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt finden sich unter: https://www.mainz.de/kultur-und-wissenschaft/musik/peter-cornelius-festival-2024.php.

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