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„Bachs Weihnachtsoratorium reizt immer“

„Jauchzet, frohlocket“ – der Windsbacher Knabenchor ist einer der überzeugendsten Interpreten des Weihnachtsoratoriums von Bach, was sicherlich auch an der lebendigen und inspirierten Interpretation durch den Chorleiter Karl-Friedrich Beringer liegt. Im Interview erzählt er, welche Bedeutung diese Musik für ihn und sein Arbeiten hat.

Frage: Zum wievielten Mal überhaupt führen Sie das Bachsche Weihnachtsoratorium in diesem Jahr auf?

Karl-Friedrich Beringer: Das Weihnachtsoratorium mit den Kantaten I bis III habe ich zum ersten Mal 1977 mit dem Amadeus-Chor Neuendettelsau aufgeführt, mit dem Windsbacher Knabenchor 1979. Am Ende dieses Jahres werde ich dieses großartige Werk mit den Kantaten I bis III und VI allein mit den Windsbachern insgesamt 74 Mal aufgeführt haben! Die Nummern IV, V und VI habe ich bis heute nur acht Mal aufgeführt, darunter ein Mal in Australien im Jahr 2000.

Frage: Was reizt Sie noch oder besser immer wieder an diesem Werk?

Karl-Friedrich Beringer: Das Weihnachtsoratorium reizt eigentlich immer. Es ist ja das Weihnachts-Opus überhaupt und ich persönlich habe dieses Werk als Kind erstmals 1953 in einer Aufführung mit den Windsbachern unter Hans Thamm gehört – ich war fünf Jahre alt und es war für mich ein unvergessliches Erlebnis. Als Dirigent liegt der Reiz sicher darin, den Text der Weihnachtsgeschichte durch die geniale Musik immer wieder neu zum Leben zu erwecken und die Zuhörer damit zu erreichen.

Frage: Welche Aspekte und Teile des Oratoriums sind für Sie von großer Bedeutung?

Karl-Friedrich Beringer: Ich glaube, man wird in jeder der sechs Kantaten immer wieder Stücke oder Details finden, die für den Interpreten wichtig sind. Für mich persönlich sind vor allem die Choräle in ihrer Vielfarbigkeit und Textaussage ein entscheidendes „Standbein“ meiner Interpretation. Schließlich bezieht sich ein Bach-Choral – ob Passion oder Weihnachtsoratorium – immer wieder auf das vorherige Geschehen oder weist auf das kommende hin. Dies überzeugend für den Zuhörer hörbar zu machen ist jedesmal eine neue Herausforderung.

Frage: Welche verschiedenen Stadien der Interpretation erlebt(e) das Werk „unter Ihnen“?

Karl-Friedrich Beringer: Natürlich hat man als noch junger Dirigent ganz bestimmte Interpretationen im Ohr und ich gebe gerne zu, dass ich in meinen Anfängen in vielen Dingen bei meiner Bach-Interpretation die „Richter-Schule“ in Ohr und Kopf hatte – nicht aber den Klang des Münchner Bach-Chores; vom Chorklang hatte ich eigentlich immer eine ganz eigene Vorstellung. Mich hat fasziniert, wie Richter diese Werke angegangen ist und mit welcher Begeisterung und „blutvollem Musizieren“ er jedesmal – ich habe ihn oft live oder im Radio gehört – die Werke neu entstehen ließ. Später fängt man dann an seinen eigenen Stil zu finden. Ich hoffe – man hört das auch…

Frage: Der Knabenchor sang das Stück zuletzt vor vier Jahren. Wie haben Sie sich und den Chor in diesem Jahr auf die Konzerte vorbereitet?

Karl-Friedrich Beringer: Tatsächlich haben nur acht Sänger des gesamten jetzigen Chores das Werk gesungen. Es ist also mehr oder weniger eine völlige Neueinstudierung. Die Probenphase begann Mitte November – keine ganz einfache Sache, aber machbar.

Frage: Mit welchen Partnern tritt der Windsbacher Knabenchor in diesem Jahr auf?

Karl-Friedrich Beringer: Ganz stolz sind wir, dass der Windsbacher Knabenchor dieses Projekt erstmals mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks gemeinsam im Münchner Herkulessaal zur Aufführung bringt. Ab dem 13. Dezember musizieren wir dann mit den Deutschen Kammer-Virtuosen Berlin, mit denen wir schon seit Jahren sehr eng zusammenarbeiten. Als Solisten wirken Jutta Böhnert (Sopran), Rebecca Martin (Alt) und Thomas Cooley (Tenor) mit; die Bassisten Alexander Marco-Buhrmester und Klaus Mertens teilen sich die Aufführungen.

Frage: Eins noch – warum beginnt der Chor eigentlich immer mit den Worten „Tönet, ihr Pauken!“, wo es doch eigentlich heißt „Jauchzet, frohlocket“?

Karl-Friedrich Beringer: Zunächst mal war ja das Original die Kantate „Tönet, ihr Pauken! Erschallet, Trompeten!“ zum Geburtstag der Königin von Polen und Kurfürstin zu Sachsen am 8. Dezember 1733. Im Jahr 1734 nahm Bach diesen Kantaten-Satz als „Vorlage““ für den Eingangschor der Kantate I des Weihnachtsoratoriums, vielleicht – ich unterstelle dies jetzt einfach mal – ja auch aus Zeitmangel. Er hat also einfach den Eingangschor „Tönet, ihr Pauken! Erschallet Trompeten!“ mit einem neuen Text versehen, den wir heute alle mit dem Weihnachtsoratorium verständlicherweise in Verbindung bringen, nämlich: „Jauchzet! Frohlocket! Auf, preiset die Tage!“ Mich persönlich hat schon als Kind immer gestört, dass dieses Jauchzen vom Chor in der tiefsten Lage von Sopran und Tenor beginnt, denn für den gerade auf Text besonders ausgerichteten Johann Sebastian Bach ist das aus meiner Sicht eigentlich gerade gegen den Text. So habe ich, seit ich in Windsbach bin, die ersten Takte und die jeweilige Wiederholung immer mit dem „Originaltext“ beginnen lassen, nämlich „Tönet, ihr Pauken! Erschallet Trompeten!“ und dann eben „Jauchzet! Frohlocket! auf, preiset die Tage!“ Das lässt sich auch plausibel erklären, denn schließlich beginnt ja die Pauke und der Chor singt und imitiert daraufhin die Pauken mit dem Text „Tönet, ihr Pauken“. Dann singt der Chor „Erschallet, Trompeten!“ und kurz darauf erschallen auch die Trompeten nacheinander. Und dann, ganz in der Höhe, wo wirklich Freude und Jubel und Jauchzen „zuhause“ sind, da singt der Chor dann im absoluten Freudentaumel den Text „Jauchzet! Frohlocket!“ Ich glaube, Bach wäre mit dieser Deutung im Nachhinein äußerst zufrieden.

Die Besprechung des Wiesbadener Konzerts finden Sie im Musik-Ressort.

Informationen zum Windsbacher Knabenchor gibt es im Internet unter www.windsbacher-knabenchor.de.

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