» Musik

Feuer und Flamme

FRANKFURT (12. Oktober 2016). Natürlich kann man sagen: Wer sich im Großen Saal der Alten Oper auf die Bühne stellt, um Bachs h-moll-Messe zu singen, hat bitteschön zu liefern – zumal die „Frankfurter Bachkonzerte“ als Veranstalter für eine hohe Qualität bürgen. Und dennoch: Wenn diese Musik von einem Knabenchor – hier die Windsbacher unter der Leitung von Martin Lehmann – musiziert und dabei derart intensiv wie kunstvoll durchdrungen wird, dann ist das schon ein besonderes Erlebnis.

Vor wenigen Wochen begann das Schuljahr und schon vor sowie zum Ende der Ferien hatten sich die Jungs Bachs „Opus magnum“ erarbeitet. Wer bereits damals einer Probe beiwohnen durfte, sah einen (noch ungeschliffenen) Rohdiamanten schon mal funkeln – in Frankfurt, der zweiten Aufführung nach einem Konzert in der Abteikirche Münsterschwarzach (weitere folgen 2017), strahlte dieser Stein nun elegant eingefasst durch das delikate Spiel der Deutschen Kammer-Virtuosen Berlin in seiner ganzen Pracht.

Dabei stand Martin Lehmann anfangs vor einem Problem: Der abiturbedingte Aderlass an erfahrenen Männerstimmen zwang den Dirigenten, nicht nur Aushilfen aus den Reihen Ehemaliger, sondern auch äußerst junge Sänger vor allem in den Tenor zu nehmen. Dies fiel jedoch erstmal eher optisch auf, denn Lehmann machte aus der Not, dass diese Stimmgruppe nolens volens noch etwas „schwach auf der Brust“ ist, eine veritable Tugend: Indem er die anderen Register sowie die Instrumente perfekt mischte, stellte er die Balance weitestgehend wieder her und nutzte dies zusätzlich für einen genialen Kunstgriff. Nicht nur Kollegen wie Konrad Junghänel mit Cantus Coelln oder Jahre früher Joshua Rifkin mit seinem Bach-Ensemble haben mit solistischen Chorbesetzungen versucht, eine historische Aufführungspraxis zu etablieren: In Frankfurt wurde gerade das trotz gewohnter „Manpower“ zum Ereignis.

Das Quäntchen, was dem derart leicht gedimmten Klang diesmal an Strahlkraft fehlen mochte, ersetzten die Windsbacher nun also durch eine wunderbar homogene Durchhörbarkeit, was gerade bei diesem Werk vielleicht doch wichtiger ist, denn: Laut kann jeder. Mag sein, dass man kurz innehielt, weil einem im Zusammenspiel während des „Cum sancto spiritu“ eine kaum vernehmbare Unwucht auffiel. Doch das störte nicht – im Gegenteil: Man merkte, dass hier (teils sehr) junge Menschen aus Fleisch und Blut singen. Manchmal ist Authentizität wichtiger als unbedingte Perfektion.

Natürlich hob es einen auch an diesem Abend beim „Gratias agimus tibi“ und dem erhabenen „Sanctus“ aus der Bestuhlung – wie auch nicht? Aber hier waren es andere Momente, die haften bleiben: Das „Qui tollis“ hörte sich wie eine liebevolle, tröstende Umarmung an und das folgende „Miserere nobis“ überzeugte als demutsvolle Bitte. Da waren die stillen Augenblicke, da waren Glanz und Gloria – diese h-moll-Messe atmete, lebte durch kluge Dynamik wie Agogik. Mit Sphärenklängen, bekennender Geste oder ergriffenem Staunen rezitierte der Chor das Credo fast schon als Predigt und die „Crucifixus“-Szene ließ Lehmann mit einem derart seidigen Pianissimo schließen, dass man kaum Luft zu holen wagte – eine buchstäblich atemberaubende Szene, die dann natürlich durch die vorwärtsdrängende Auferstehung aufgelöst wurde. Ach, man könnte so viele Momente nennen.

Doch da war ja auch noch das Orchester samt handverlesenem Solistenquartett. Die Deutschen Kammer-Virtuosen Berlin überzeugten durch einen kammermusikalischen Ton, der einem diese große Musik noch fassbarer machte. Auch hier herrschte wunderbare Transparenz, so dass man Bachs „Kunst der Fuge“ bestaunen durfte. Die Solisten – Dorothee Mields‘ ätherischer Sopran, Rebecca Martins wohltemperierter Alt, Julian Prégardiens spannungsgeladener, punktgenauer Tenor sowie Andreas Wolfs geradliniger Bass – taten ihr Übriges, dass sich dieses Konzert von anderen Interpretationen von BWV 232 wohltuend und abwechslungsreich abhob.

Ein erfüllter wie erfüllender Abend also, der keine Wünsche offen ließ? Leider nicht, wobei dies weder etwas mit der Musik noch ihrer Aufführung, den Interpreten, dem Ort oder dem Veranstalter zu tun hat: Selbst in einem Konzert mit Bachs h-moll-Messe ist mittlerweile zu beobachten, dass Menschen im Publikum während der Darbietung auf ihren Smartphones herumwischen! Warum bitteschön?! Was kann es in diesen Momenten Wichtigeres geben als zuzuhören? Müssen etwa die Börsendaten gecheckt, ein Flug gebucht oder überlebenswichtige Botschaften getwittert werden („Sitze gerade in der Alten Oper. Der Hummer bei Luigi eben war köstlich.“)?

Nein, dieses Verhalten – allein in der eigenen Sitzreihe bei vier (in Zahlen: 4) Personen registriert – ist so unverständlich wie unentschuldbar und treibt einem die Zornesröte ins Gesicht: Eine solch arrogante Frechheit zeugt von bodenloser Respektlosigkeit denen gegenüber, die auf der Bühne ihr Bestes geben – wo und wie auch immer. Was wünscht man solchen Kretins in Abendkleid und Nadelstreifen [sic!], hinderte einen nicht die eigene Erziehung daran? Vielleicht, dass sie ein Smartphone der Marke Samsung benutzen, so ein „Galaxy Note 7“. Und dass dieses Ding bei nächstbester Gelegenheit in Flammen aufgeht.

zurück