» Musik

Zeichen des Muts in schwieriger Zeit

ANSBACH (17. Oktober 2020). Der Windsbacher Knabenchor singt in St. Gumbertus – neben St. Lorenz in Nürnberg ist das Ansbacher Gotteshaus so etwas wie seine zweite Hauskirche: Motetten dort, Konzerte hier. Allerdings war es kein normaler Auftritt, den die Windsbacher da absolvierten: Corona geschuldet fand er ohne Publikum statt, wurde jedoch als Live-Stream im Internet übertragen, wo er hoffentlich zahlreiche Zuhörer fand. Es war ein deutliches Zeichen: Schaut und vor allem hört her – wir sind noch da. Und wir wollen für Euch singen!

Wenn man bedenkt, wie sehr die Pandemie dem Knabenchor durch Internatsschließung und wochenlange Unterbrechung der musikalischen Arbeit geschadet hat, staunt man ehrfurchtsvoll über die (noch immer) haushohe Qualität, die die Jungs mit ihrem Dirigenten Martin Lehmann da abliefern. Zwei Monate brauche der Chor in normalen Zeiten, um nach den sechswöchigen Sommerferien wieder das gewohnte Niveau zu erreichen, sagt der Chorleiter. Nun dauerte die erzwungene Pause viel länger, das tägliche Proben fiel aus, Knaben kamen unbegleitet in den Stimmbruch, neue Sänger konnten nicht richtig in das Ensemble hineinwachsen.

Und doch: Der Chorklang ist homogen und füllig, die Männer tönen kraftvoll, die Knabenregister strahlen, die Intonation ist tadellos. Selbstbewusst und mit tiefem Ernst stimmen die Choristen Motetten von Felix Mendelssohn Bartholdy und Johann Kuhnau, Anton Bruckner, Willy Richter oder Jake Runestad an. Das macht ihnen so schnell keiner nach – derzeit vor allem und sonst eben auch nicht. Dabei müssen die Einzelstimmen ja mit großem Abstand voneinander stehen und singen! Die rund 40 Sänger füllen den kompletten Altarraum aus.

Das hat Martin Lehmann auch in anderen Konzerten und unabhängig von Corona schon als Stilmittel genutzt, doch ist es ja ein Unterschied, ob dies nun die Conditio sine qua non ist. Wer selbst im Chor singt, weiß, welche Herausforderung es bedeutet, statt im klingenden Kollektiv plötzlich für sich zu stehen und doch Teil des Ganzen zu werden und zu bleiben. Dass man gerade dadurch sängerisch wachsen kann, ist ein Vorteil, den die Windsbacher voll nutzen, denn ihr Ton ist eindringlich wie eh und je.

In Windsbach ist die Stimmung gut, heißt es, die Pandemie habe der musikalischen Leistungsbereitschaft der Jungs dort nicht geschadet. Im Gegenteil: Man brenne darauf, wieder auftreten und singen zu dürfen. Im Sängerinternat, berichtet dessen Direktor Thomas Miederer, gestalteten die Choristen derzeit füreinander Chorandachten: Schüler singen für ihre Mitschüler! Vor diesem Hintergrund rührt einen der Auftritt in St. Gumbertus fast zu Tränen.

Martin Lehmann hat vor ein paar Tagen gesagt, der Chor strahle derzeit mehr nach innen. Doch gerade dadurch entsteht eine klanglich-sensitive Refkeltion, die sogar am Bildschrim spürbar ist. Mit ihrer Präsenz im Netz dokumentieren die Windsbacher auch so etwas wie Normalität, wenn sie dort in ihren blauen Choranzügen auftreten und hochkonzentriert (meist ohne einen Blick in die Noten) dem charismatischen Dirigat Martin Lehmanns folgen. Auch das ist, neben der musikalischen Leistung, ein wichtiges Statement.

Es war just an diesem Ort in St. Gumbertus, als Anfang der 2000er-Jahre einstige Sänger des Knabenchors unter dem damaligen Chorleiter Karl-Friedrich Beringer eines der damals noch eher seltenen Ehemaligenkonzerte gaben; da sprang [sic!] vor Konzertbeginn ein älterer Herr auf die Bühne und sprach ein paar Worte zum Publikum. Es war Hans Thamm, der den Windsbacher Knabenchor 1946 gegründet hatte. Worum es genau ging, ist entfallen, doch schloss der betagte Musiker mit den Worten: „Ist’s Teufels Werk, soll’s untergeh‘n – ist’s Gottes Werk, so bleibt’s besteh‘n.“ Seither haben die Windsbacher viele Male dort gesungen – an Weihnachten und zur Ansbacher Bachwoche.

Doch mit diesem Konzert zeigte man eben auf beeindruckende Weise, dass einen die Pandemie nicht in die Knie gezwungen hat, dass man ein Zeichen des Muts setzen wollte, dass man besteht! In Richters „Creation“ ließen die famosen Männerstimmen das Licht hell erstrahlen – wie der gesamte Chor in Mendelssohns Psalm 43 „Richte mich Gott“. Dort heißt es: „Was betrübst Du Dich, meine Seele, und bist so unruhig in Dir?“ In Ansbach sang der Chor die Antwort besonders eindringlich: „Harre auf Gott, denn ich werde ihm noch danken.“ An diesem Abend war es am digitalen Publikum zu danken: dafür, dass es diesen Knabenchor gibt und dass er uns in derart unsicheren und schwierigen Tagen ein so wunderbares Konzert geschenkt hat.

Unterstützt wurde dieses Projekt von more recording + production sowie avs Medien-Service. Wer den von den Wohnstiften Rathsberg in Erlangen und Am Tierpark in Nürnberg präsentierten Livestream nachhören möchte, kann dies unter folgendem Link tun: https://vimeo.com/460136850?fbclid=IwAR2fD1V0B1On5fjvBjkPJnJUpRzCLG6r5WB9cpU0EV-WmHowGX5_4ZERcOo.

zurück