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Ein Händchen für Händel

NÜRNBERG (17. Dezember 2018). Eine recht gemeine Erkenntnis lautet: Das Bessere ist der Feind des Guten. Und so gut man Barockmusik auf modernen Instrumenten schon gehört haben mag (vorausgesetzt, das geht überhaupt), umso schöner und authentischer klingt es eben auf historischen. Natürlich muss auch alles andere stimmen: wie beim weihnachtlichen Oratorien-Projekt des Windsbacher Knabenchors, der in der Nürnberger Friedenskirche zusammen mit der Akademie für Alte Musik Berlin Händels „Messiah“ zum Klingen brachte.

Bereits in der Sinfonia zeigt Martin Lehmann, dass er auch für Händel ein Händchen hat: Mit schwungvollen Bögen und pulsierend eröffnet er mit den Instrumentalisten das Oratorium, das so ganz anders ist, als man es von Bach her kennt – keine stringente Handlung, sondern eine Vielzahl von Szenen, die sich der „Person Jesus“ nähern, angefangen von den alttestamentarischen Verheißungen über Geburt und Kreuzestod des Heilands bis zu Betrachtungen aus den Büchern des Neuen Testaments.

Im dritten Teil hat Lehmann ein Rezitativ, ein Duett, einen Chor und eine Arie gestrichen (ein erster Kritikpunkt!) – ansonsten erklingt der „Messiah“ im Original und natürlich auch in englischer Sprache. Damit steht und fällt eine Aufführung (oder Aufnahme) eines deutschen Chores ja oft schon. Hier steht sie – die Windsbacher Knaben „sprechen“ das fremde Idiom wie sie singen: exzellent. Ihnen stehen die Solisten des Abends – Lydia Teuscher (Sopran), Terry Wey (Altus), Tilman Lichdi (Tenor) und Thomas Laske (Bass) in nichts nach. Gott sei Dank.

Doch noch viel wichtiger ist natürlich die Musik. Und die wird so spannend zum Klingen gebracht, dass fast zweieinhalb Stunden wie im Flug vergehen. So ein „Messiah“ kann sich ja auch ziehen – dieser hier nicht. Und das liegt darin, dass wirklich jeder weiß, worum es geht – nicht nur bei den Kernsätzen der protestantischen Glaubenslehre. Hier aber besonders: wenn der Chor singt, dass der Mensch umherirre und Jesu die Sünden der Welt trüge („All we like sheep“); wenn mit der genau richtigen Dosis an Theatralik erzählt wird, wie Jesus darob verwundet und zerschlagen ward („Surely He hath borne our griefs“) oder man den hasserfüllten Hohn der Leute erlebt, die den Gekreuzigten verspotten („He trusted in God“).

Nein, es braucht wahrlich keine stringent erzählte Geschichte, um derart ins Geschehen hineingezogen zu werden, wie es dieser Knabenchor vermag. Ganz nebenbei singt er seine Koloraturen herrlich scharf gestochen und zeigt mit glasklarer Transparenz und wohl austarierter Homogenität, wie sehr die Jungs die „Kunst der Fuge“ beherrschen. Die Akademie für Alte Musik Berlin war schon früher Partner der Windsbacher (und wird es hoffentlich auch in der Zukunft bei solchen Konzerten oft sein). Auch hier liegt der Akzent auf einer ansprechenden Durchhörbarkeit. Das barocke Spiel elektrisiert den Zuhörer genauso wie die Ausführenden – in der Sinfonia wie in der Pifa.

Und erst die Instrumental-Solisten! Konzertmeister Georg Kallweit und Yves Ytier begleiten auf ihren Geigen den Altus („Thou art gone up on high“) und die Sopranistin („If God be for us“) bezaubernd und in der Bassarie „The trumpet shall sound“ weiß man ehrlich gesagt gar nicht, was einem größere Freude bereitet: der tragende Bass Laskes, der zuvor schon mit der Autorität eines wissenden Predigers beeindruckt hat („Thus said the Lord“), oder eben Ute Hartwich auf der Naturtrompete, deren Spiel so unglaublich filigran ausfällt – schlicht ein doppeltes Geschenk.

Zu viel der Schwärmerei? Dann sei rasch erwähnt, dass Solist und Orchester an einer einzigen Stelle nicht ganz deckungsgleich erklangen, sich aber sofort wiederfanden (wo, ist notiert, aber nicht so wichtig, dass es erwähnt werden müsste). Dann schwärmt man doch lieber: vom leuchtenden Tenor Lichdis, vom kernigen Sopran Teuschers und von der einfach wundervollen Stimme Weys, der sie leuchtender Farbe gleich mit feinem Pinselstrich auf die satte Grundierung des Orchesters aufträgt. Martin Lehmanns Dirigat ist fließend, was Sänger wie Instrumentalisten gerne aufnehmen und die Musik entsprechend prägen.

Es gibt viele Momente, in denen man eine wohlige Gänsehaut spürt: natürlich als Knabensolist Nils Hirsch den Engel von der Kanzel die Geburt des Heilands verkünden lässt; oder der Ehre-Chor erklingt („Glory to God“) und anschließend der Blick auf das Lamm Gottes gerichtet ist („Behold the Lamb of God“) – da geht, wie man so schön sagt, der Himmel auf. Vor dem Schlusschor ertönt ein kleines Präludium auf der Truhenorgel – ein weiteres dieser an Details reichen Aufführung. Majestätisch singt der Chor „Worthy ist the Lamb“, schließt mit einer grandiosen Amen-Fuge.

War noch was? Aber natürlich: Das tänzerische „Hallelujah“ am Schluss des zweiten Teils. Das klingt natürlich ebenso fulminant. Und wird als Zugabe wiederholt, was platt und fast schon ein wenig beliebig wirken könnte, hätte man nicht zuvor die Noten (alle Stimmen!) in den Kirchenbänken verteilt, um mit dem Publikum gemeinsam polyphon das Gotteslob anzustimmen. Und so steht Martin Lehmann mit dem Rücken zu Chor und Orchester, die vom Publikum eben noch frenetisch gefeiert wurden, und dirigiert die Zuhörer in der ausverkauften Friedenskirche. Ein netter und gleichwohl würdiger Abschluss einer würdevollen „Messiah“-Aufführung. Well done, boys!

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