Vom Himmel hoch
WACHENHEIM (8. Dezember 2023). Wenn man ein Weihnachtskonzert des Windsbacher Knabenchors hört, muss man eigentlich doppelt dankbar sein: für den wunderbaren Gesang und die Tatsache, dass das Ensemble gerade in Zeiten, in denen Chöre von Erkältungswellen umspült werden, so fit ist wie in der wunderschönen Protestantischen Kirche in Wachenheim an der Weinstraße, wo die Windsbacher ihr Adventsprogramm präsentierten. Deren Förderverein hatte den Chor zu einem Benefizkonzert eingeladen.
Bestanden Weihnachtskonzerte in früheren Zeiten landauf landab in der Regel „nur“ aus der entsprechenden A-cappella-Literatur, hat sich das in den letzten Jahren vielerorts gewandelt und neue Formate sind hinzugekommen. Die Windsbacher treten in diesem Jahr mit Musikerinnen und Musikern der lautten compagney Berlin auf, die den Chor zuweilen begleiten, Prä- und Interludien spielen oder auch rein instrumental musizieren. Das und ein spannendes Programm aus bekannter (und erwarteter) Literatur sowie neuen Werken machten das Gastspiel in Wachenheim zu einem unvergesslichen Abend.
Immer wieder glänzen die Jungs mit ihren Markenzeichen: Klangfülle, das Zusammenspiel kräftiger und gut ausgebildeter Stimmen in jedem Register, Aufmerksamkeit bis in die Haarspitzen, ständiger Kontakt mit dem Dirigenten, deutliche Sprache sowie eine Intonation, die nicht sauber, sondern rein ist. Und eine Musizierfreude, die man den Knaben- und Männerstimmen auch ansieht: Bei aller Kräfte zehrenden Probenarbeit im Vorfeld hört man hier keine auf Hochleistung gedrillten Sänger, sondern einen apodiktischen Chorklang, der seinesgleichen suchen darf.
Das Konzert beginnt leise, mit dem Klang der Triangel. Auf dem durch die Violone verstärkten Orgelton beginnt der Chor das „Veni, veni, Emanuel“, dessen verschiedene Sätze er im Wechsel mit acht Männerstimmen im hinteren Kirchenschiff, unisono oder polyphon intoniert. Dabei besticht schon hier der Klang: butterweich, zart und doch mit knackiger Präsenz. „Maria durch ein Dornwald ging“ im Satz von Günther Raphael (einer der schönsten!), „O Heiland reiß die Himmel auf“ von Johannes Brahms, wo in der zweiten Strophe der Cantus firmus gleißend hell hervorstrahlt, und „Macht hoch die Tür“ in einer delikaten instrumental-vokalen Satzcollage aus Hugo Distler, Max Reger und Friedrich Silcher – man lauscht gebannt und ergriffen. Faszinierend: Selbst, wenn der Chor ein kraftvolles Forte intoniert, wird es nie laut – das kultivierte Singen lässt die dynamischen Abschattierungen durchaus auch fühlen.
Dirigent der Windsbacher ist in diesem ersten Teil übrigens nicht Ludwig Böhme, sondern dessen Assistent Andreas Fulda: Mögen andere Knabenchöre verschiedene Chargen auf die Bühne schicken, darf man sich hier sicher sein, stets die erste Garde zu hören. Dass Böhme auch mal seine Team-Kollegen auf der Stradivari der Knabenchöre spielen lässt, ist dabei nicht nur interner Gewinn. Durch die tägliche Probenarbeit versteht man sich musikalisch und kann sich aufeinander verlassen – auch dies ist eine der viel zitierten Soft Skills, die gerade das Singen in solchen Knabenchören vermitteln.
Das erste Solo-Set der mit Monica Waisman (Violine), Martin Ripper (Flöte), Andreas Nachtsheim (Laute), Sabina Chukurova (Truhenorgel), Annette Rheinfurth (Violone) und Hannes Malkowski (Percussion) besetzten lautten compagney stellt mit Greensleeves/Norwegian Wood ein stimmungsvolles Traditional vor. In der Sonata X aus den „Sonate concertante in stil moderno“ von Dario Castello (1590-1658) fliegen hingegen die Funken, so beseelt spielt das Sextett und beweist: Alte Musik ist eben alles andere als alt.
Besonders originell sind hier übrigens die Besen, mit denen Malkowski die große Trommel rührt: Sie sind aus hartem Stroh, wobei die Assonanz zur Grippeneinlage sicherlich zufällig, wenngleich auch sehr passend ist. Ludwig Böhme und die lautten compagney haben schon diverse Projekte miteinander realisiert und kennen sich daher gut; erinnert sei nur an „1517 – Mitten im Leben“ zum 500. Jahrestag der Reformation. Aus dieser Kooperation wurde nun auch das Windsbacher Weihnachtsprogramm entwickelt.
Besinnlichkeit pur kredenzen die Männerstimmen der ab jetzt von Böhme dirigierten Windsbacher mit der russischen Weise „Schlaf mein Kindlein“. Auch die folgenden Stücke werfen einen spannenden Blick in andere Kulturen: Weihnachtslieder aus dem Baskenland und Kanada, Frankreich und Argentinien. Gerade bei „La Peregrinación“ von Ariel Ramirez (1921-2010) kommt man aus dem Staunen nicht heraus: Wer schon einmal seine „Missa Criolla“ singen durfte, weiß, wie schwer man sich mit den ungewohnten, rhythmischen Verschiebungen südamerikanischer Musik tun kann – hier klingt alles so selbstverständlich und authentisch, als hörte man native singers!
Nach einem weiteren Instrumental-Part, der den Eindruck des ersten durch einen packenden Groove bei der Ciaconna aus „Il primo libro di canzone“ von Andreas Falconieri (1585-1656) noch verstärkt, klingt der Abend mit wundervollen Weihnachtsiedern (meist in den herrlichen Sätzen von Carl Riedel) aus. Michael Praetorius altbekannter „Quempas“ wird vom Chor im Tutti und von vier Solisten gesungen: Insgesamt lässt Böhme am Schluss zehn Knaben- und Männerstimmen hervortreten, die wie in „Ich steh an deiner Krippen hier“ Solopartien übernommen haben. Abgesehen von der stimmlichen Qualität ist allein schon die Chuzpe zu loben, derart coram publico zu singen. Auch diese Tugend wird hier offenbar geübt und, wie man sieht und hört, gepflegt.
In Wachenheim selbst ist einem auf dem Weg zur Kirche aufgefallen, dass nicht nur an und in den Häusern, sondern vor allem in den Bäumen derart viele mehrspitzige Weihnachtssterne leuchten, dass man meinen könnte, der Ort wäre Partnerstadt oder Dependance des sächsischen Herrnhut. Während des Konzerts hört man diese Sterne: in den Himmel musiziert und jubiliert, dass es noch lange nachklingt. Als letztes Stück des Abends singen die Windsbacher mit der lautten compagney eine kleine Choralkantate mit Musiken von Max Reger, Michael Praetorius und Johann Schelle auf Martin Luthers „Vom Himmel hoch, da komm ich her“. Und was soll man sagen: Das stimmt.
Ein weihnachtliches Video der Windsbacher ist hier zu sehen: https://youtu.be/VL2RMddfwsM/