Bach for five
Vor 23 Jahren gründete sich in Leipzig das Calmus Ensemble als Vokalquintett aus dem Thomanerchor heraus – bald ist kein Gründungsmitglied mehr an Bord, denn Ludwig Böhme verlässt als letztes die Gruppe und bricht im September als Leiter des renommierten Windsbacher Knabenchors zu neuen Ufern auf.
Man hat sich Zeit gelassen (oder genommen), um ein Album gänzlich der Musik Johann Sebastian Bachs zu widmen. Nun könnte man einwerfen: Wie auch in dieser Besetzung? „Bach for five“ liefert die Antwort auf die eigentlich rhetorische Frage, denn allzu viel hat Bach für die Besetzung SATBB ja nicht hinterlassen. Natürlich kommt einem hier sofort die Motette „Jesu meine Freude“ in den Sinn. Und sie bildet auch den Kern dieses klug konzipierten Albums.
Man hört und genießt. Gerade hier könnte man natürlich viele Worte über die delikate Interpretation dieser wunderbaren Musik verlieren. Doch man schweigt ergriffen und beschränkt sich auf eine schlichte Gleichung: Präsenz = Referenz – derart tiefgründig und intensiv hat man BWV 227 (zumal ohne Instrumente!) noch nicht gehört, ja erlebt.
Das im Booklet anschaulich erklärte Konzept dringt mit gerade mal knapp 58 Minuten in den faszinierenden Kosmos Bachscher Musik vor, weil es über die Motette hinaus Choräle, adaptierte und transkribierte Choralvorspiele sowie als Vokalwerke umgedeutete Orgelstücke erschließt – alles vokal eingerichtet, wobei versichert wird, jeder Ton stamme „vom Meister selbst“. Da wird die Fantasie c-moll (BWV 562) zu einem „De profundis“ und Präludium und Fuge Nr. 22 aus dem „Wohltemperierten Klavier“ (BWV 867) wandeln sich zu einem „Miserere“ und „Redde mihi“. Denkt man Bachs Musik so weiter, lässt sie sich plötzlich in unglaublicher Vielfalt potenzieren – „Bach for five“ gibt einen (hoffentlich!) inspirierenden Einblick.
„Jesu meine Freude“ wird flankiert von zwei berückenden Collagen. Zuvor erklingt mehrfach das „Kyrie“: aus der G-Dur-Messe (BWV 236), als textunterlegtes Orgelvorspiel (BWV 639 & 721), Choral (BWV 371) und schließlich aus der h-Moll-Messe (BWV 232). Nach der Motette wird der Choral „Wer nur den lieben Gott lässt walten“ aus BWV 93 textlich variiert in verschiedenen Verarbeitungen Bachs aus Kantaten (BWV 21& 93) und Orgelvorspiel (BWV 642) gespiegelt, um wiederum im Choral „Sing, bet und geh auf Gottes Wegen“ (BWV 179) zu münden. Gerade in dieser Begegnung mit dem Komponisten erkennt man, was ihm wichtig wahr – musikalisch wie inhaltlich.
Diese Musik in solch unfassbarer Güte a cappella hören zu dürfen ist ein Geschenk. Aufgenommen wurde das Ganze im Januar 2022 nachts in der Leipziger Thomaskirche, jenem langjährigen Wirkungsort Bachs, und in der Musik schwingen Ehrfurcht und Dankbarkeit hörbar mit: Man spürt die Verbundenheit der Künstler mit dem Genius Bachs. Und das überträgt sich unmittelbar auf den Hörer.
Alle Stimmen – Anja Pöche (Sopran), Maria Kalmbach (Alt), Friedrich Bracks (Tenor), Ludwig Böhme (Bariton) und Manuel Helmeke (Bass) – klingen dabei ganz nah und singen in perfekter Harmonie. Homogen und transparent stellt sich das Ensemble vollkommen in den Dienst der Musik Bachs und macht gerade den „kleinen“ Choral zur größten Kunst. Klare Textausdeutung verbindet sich hier mit impulsivem Musizieren.
Nach 23 Jahren und mehr als 20 CDs befindet sich das Calmus Ensemble aktuell im Umbruch: Neue Stimmen sind hinzugekommen, drei scheidende werden ersetzt. Ab September präsentiert man sich dann in neuer Besetzung. Mit „Bach for five“ wurde die Messlatte für die Folgegeneration freilich in Schwindel erregender Höhe angelegt. Will man es pathetisch ausdrücken, ist „Bach for five“ ein Testament. Aber ein letzter Wille ist ja auch Verpflichtung.
Die CD ist exklusiv über die Homepage des Calmus Ensemble zu beziehen sowie bei Konzerten erhältlich: https://calmus.de/de/shop/cds/bach-for-five-2022/