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Choräle ungenügend ausgedeutet

Auch die Gaechinger Cantorey möchte natürlich ihren Part zum großen Interpretationsmosaik bei den Passionen und Oratorien Bachs beitragen. Das ist legitim und Hans-Christoph Rademann tut dies aktuell mit Bachs Johannespassion in der Fassung des Jahres 1749. Das Ergebnis ist eine beim ersten Hören rundum gelungene Einspielung ohne störende Ecken und Kanten; wer sich genauer mit dieser bei Carus als Doppel-CD erschienenen Interpretation beschäftigt, entdeckt jedoch schnell Details, die sowohl aufmerken lassen, im anderen Extrem aber auch Schwachstellen aufweisen.

Auch die Gaechinger Cantorey möchte natürlich ihren Part zum großen Interpretationsmosaik bei den Passionen und Oratorien Bachs beitragen. Das ist legitim und Hans-Christoph Rademann tut dies aktuell mit Bachs Johannespassion in der Fassung des Jahres 1749. Das Ergebnis ist eine beim ersten Hören rundum gelungene Einspielung ohne störende Ecken und Kanten; wer sich genauer mit dieser bei Carus als Doppel-CD erschienenen Interpretation beschäftigt, entdeckt jedoch schnell Details, die sowohl aufmerken lassen, im anderen Extrem aber auch Schwachstellen aufweisen.

Die Gaechinger Cantorey führte die Johannespassion in zwei von BR Klassik aufgezeichneten Konzerten im Rahmen der Ansbacher Bachwoche 2019 auf. Die Mikrofonaufstellung lässt jedoch zu wünschen übrig: Der Klang ist nicht immer ausgewogen, beim Chor sind die s-Laute nicht durchgängig präsent – gleich im Eingangschor fällt das Fehlen des Konsonanten bei „Herr, unser Herrscher“ empfindlich auf – und der eigentlich sehr transparent und homogen besetzte vokale Klangkörper klingt gelegentlich etwas stumpf.

Der Eindruck wird durch die oft schleppende, gebremste Wiedergabe der Choräle verstärkt, bei deren textlicher Ausdeutung sich Rademann seltsamerweise eher bedeckt hält. Einzig die zweite Strophe bei „Ach großer König“ gelingt packend, ansonsten wird zu oft bei den Fermaten gestoppt, logische Überbindungen sind Mangelware, der Schlusschoral hat nichts Sphärisches, sondern erinnert am Ende eher an Marschmusik. Das ist schade, denn bei dieser Chorqualität, wie man sie dann vor allem in den theatralischen Turba-Chören hören kann, wäre sicherlich mehr drin gewesen. Mag sein, dass dies bei der Aufführung in der Ansbacher St. Gumbertus-Kirche weniger gestört haben mag – auf CD schmälert es den Hörgenuss.

Wenn die Aufnahme an diesen Stücken – und damit leider an zentraler Stelle – krankt, trägt der großartige Evangelist und Arientenor Patrick Grahl in beiden Fächern zur Versöhnung bei. Herausragend singen auch Elizabeth Watts (Sopran) und in seiner zweiten Arie („Es ist vollbracht“ mit dem wunderbaren Gambenspiel von Sarah Perl) Altus Benno Schachtner, der zu Beginn eher mit eigenwilliger Akzentuierung verwundert. Peter Harvey gefällt als Christus, Matthias Winckhler als Pilatus und Arienbass.

Im ausführlichen Booklet wird bei zwei Arien und einem Arioso (Nr. 9, 19 und 20) auf Abweichungen vom ursprünglichen Text hingewiesen – daran muss man sich tatsächlich erst mal gewöhnen, aber auch diese neue Lesart kennzeichnet die vorliegende Einspielung. Besonders klangintensiv musizieren die Instrumentalisten, die Continuo-Gruppe ist üppig besetzt, was der geschilderten Handlung einen intensiven Hintergrund verleiht. Im Großen und Ganzen gefällt die Einspielung also, wobei es sicherlich andere gibt, die unterm Strich mehr überzeugen als dieser Livemitschnitt.

Extrem störend ist allerdings, dass man den Wechsel von der ersten zur zweiten CD mitten in einer hochdramatischen Szene vornehmen muss, nämlich ausgerechnet zwischen dem Choral „Durch Dein Gefängnis“ und dem eigentlich attacca anschließenden Evangelistenwort „Die Jüden aber schrieen und sprachen“ – dieser redaktionelle Schritt ist ungeschickt und höchst ärgerlich.

Johann Sebastian Bach: Johannespassion in der Version von 1749 | Elizabeth Watts (Sopran), Benno Schachtner (Altus), Patrick Grahl (Tenor: Evangelist und Arien), Peter Harvey (Bass: Christusworte), Matthias Winckhler (Bass: Pilatus und Arien), Gaechinger Cantorey (Chor und Orchester), Hans-Christoph Rademann (Leitung) | Carus 83.313/00

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