Differente Besetzung schmälert Gesamteindruck
Die Musik Georg Philipp Telemanns stellt eine riesige Schatztruhe dar, weswegen jede Beschäftigung mit seinem Werk an sich schon mal lobenswert ist. Mag der Magdeburger lange Zeit als Vielschreiber gesehen worden sein: Wo viel entsteht, ist auch viel Gutes dabei. 46 Passionen hat Telemann allein in seiner Hamburger Zeit in den Jahren zwischen 1722 und seinem Tod 1767 geschrieben. Aus der Mitte dieser Ära stammt die Lukaspassion von 1744, die Carus jetzt auf zwei CDs veröffentlicht hat. Unter der Leitung von Jaroslaw Thiel musiziert das famose Wroclaw Baroque Orchestra aus Polen gemeinsam mit dem Dresdner Kammerchor und einem Solistenquartett.
Der Passion (TVWV 5:29) ist eine fünfstimmige e-Moll Sonata (TWV 50:4) vorangestellt, die instrumental schon mal gekonnt den Erwartungshorizont des Folgenden absteckt. Anders als bei Johann Sebastian Bachs Passionen erstaunt hier allerdings, wie wenig Telemann in diesem Werk auf den Choral setzt: Gerade mal drei Stücke dieses Genres sind zu hören. Dafür haben die Vokalisten in den spannungsgeladenen Turba-Chören gut zu tun. Der Dresdner Kammerchor gefällt hier durchweg mit schlankem Ton, Transparenz und der gerade bei Telemann nötigen Diktion. Immer wieder wird deutlich, dass der Komponist auch Opern schrieb: Hand in Hand mit dem Orchester gestaltet das 18-stimmige Vokalensemble seine Partien mit Gefühl für den Moment und zieht die Zuhörer gekonnt ins Passionsgeschehen hinein. Ein Höhepunkt ist hier der flächige Chor „Ach, klage, wer nur klagen kann“.
Telemanns Musik ist offenbar auch ein Spiegel der Rahmenbedingungen, die er seinerzeit hatte, also wie es um Qualität und Quantität der Stimmen und Instrumentalisten bestellt war. 1744 stach offenbar der Sopran heraus: Acht Arien hat diese Lukaspassion, allein fünf davon sind jenem Register zugedacht. Und hier brilliert Sopransitin Sophie Junker auf ganzer Linie! Telemanns Musik ist der Sängerin quasi auf den Leib geschrieben und sie spürt den immer wieder spannenden Text-Musik-Bezügen lustvoll und dabei dennoch leichtfüßig nach. Hier macht der gut genutzte Affekt den Effekt. Genauso überzeugend gestaltet Benedikt Kristjánsson die Rezitative des Evangelisten: Der isländische Tenor ist für dieses Fach immer eine sichere Bank und auch hier höchst verlässlich.
Ein Alt mag Telemann damals vielleicht nicht zur Verfügung gestanden haben – er hat hier zumindest nichts zu singen. Die beiden anderen Solisten sind Tenor Maximilian Schmitt mit zwei Solopartien und Michael Nagy mit einer Arie und als Jesus. Gewinnt Telemanns Sakralmusik oft durch ihre opernhafte Szenengestaltung, sind seine Passionen dennoch keine Bühnenwerke. Leider fallen die beiden Herren hier aus der ansonsten ansprechenden Linienführung des Dirigenten unangenehm heraus und schmälern mit ihrem Vibrato, unter dem auch mal die Intonation leidet, den ansonsten guten Gesamteindruck dieser Aufnahme.
Georg Philipp Telemann: Lukaspassion 1744 | Sophie Junker (Sopran), Benedikt Kristjánsson und Maximilian Schmitt (Tenor), Michael Nagy (Bass), Dresdner Kammerchor, Wroclaw Baroque Orchestra, Jaroslaw Thiel (Leitung) | Carus 83.542