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Sensible Klangsprache

Warum fühlt man sich als Rezensent eigentlich stets bemüßigt und geradezu verpflichtet, bei Musik, der man durchaus anerkennend das Attribut einfach oder eingängig anheften möchte, umgehend zu beteuern, dass es ihr dennoch nicht an Tiefe mangelt? Als ob Unkompliziertheit und Klarheit ein Makel wäre und eine Komposition keinen Wert hätte, wiese sie nicht die strukturelle Genialität eines Johann Sebastian Bach auf oder die verklärte Abgehobenheit von Kollegen, denen man bei den Donaueschinger Musiktagen huldigt!

Nun, die Musik des französischen Komponisten Philippe Mazé, der 2024 seinen 70. Geburtstag feierte, ist einfach und klar. Und sie ist ergreifend schön. So schön, dass sich Denis Rouger als Gründer und Leiter des in Stuttgart beheimateten professionellen figure humaine kammerchor dazu inspirieren ließ, mit seinem Ensemble einen ansprechenden Querschnitt durch das Werk des mit ihm über lange Jahre befreundeten Tonschöpfers aufzunehmen und es damit trefflich zu dokumentieren. Die aufgenommene A-cappella-Musik stammt aus den Jahren 1992 bis 2023 und wird passend durch zwei, von Hyelin Lee an der Orgel der Martinskirche in Stuttgart-Möhringen aufgenommene Werke ergänzt.

Philippe Mazé schreibt kontrastreich, sein Stil trifft den erwähnten „einfachen“ Ton ebenso wie er an die Ausführenden teils höchste Ansprüche stellt. Die Musik atmet dabei stets eine Weite, die das Vokalensemble überzeugend aufgreift und abbildet. Man möchte fast sagen, die Sängerinnen und Sänger des mit 35 Stimmen besetzten Kammerchors legen sich bewusst (und gekonnt) in die Klänge hinein und kosten ihre Reize aus, was sich dem Zuhörer ohne jegliche Reibungsverluste vermittelt. Im Booklet ist von einer „großen künstlerischen Freude“ zu lesen, mit der der Chor die Literatur erarbeitet hätte: Das ist durchaus zu hören und der Wunsch, dies mit der CD weiterzutragen, geht in Erfüllung.

Der Chor überzeugt vor allem auch mit deutlichem Duktus, wenn der Komponist seiner Musik beispielsweise in der Vertonung von Psalm 8 einen geradezu mechanischen Gestus verpasst und den Klangkörper mit Tönen, Silben und Klängen spielen lässt. Schlussklänge, in denen man sich geborgen fühlt oder die schwebend in der Dissonanz stehen sowie ein attraktives Spannungsverhältnis zwischen alten Texten (unter anderem von Franz von Assisi oder Bernhard von Clairvaux) dokumentieren die Vielschichtigkeit der eingespielten Werke. Nach den erwähnten Orgelstücken mündet das Programm der CD in ein kompaktes „Magnificat“ für Chor und Orgel.

Wie schon auf ihren Vorgänger-CDs überzeugen Denis Rouger und sein figure humaine kammerchor durch eine auch im üppigen Forte nie getrübte Transparenz und delikate Intonation. Damit erklimmen sie mühelos die teils fantastischen Intervallkonstruktionen, die Mazé in seine Stücke hineinmontiert hat. Das Spiel mit Dissonanzen wird voll ausgekostet, lässt den Hörer jedoch nie verstört zurück, sondern neugierig aufhorchen. Tatsächlich wecken manche Stücke mit geschickt verfremdeten Zitaten deutliche Erinnerung an so manches große Werk der Chorliteratur – welche (und vor allem welches), darf an gegebener Stelle gerne selbst entdeckt werden.

Philippe Mazé: Werke für Chor | figure humaine kammerchor, Hyelin Lee (Orgel) Denis Rouger (Leitung) | Coviello Classics COV 92501

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