» Aktueller Tipp

Kosmos der Blockflöte

Sieben Stunden, 48 Minuten und – so viel Zeit muss sein – 56 Sekunden dauert es, um sich durch den kompletten „Fluyten Lust-hof“ des Jacob van Eyck (ca. 1590-1657) durchzuhören, den der Berliner Blockflötist jetzt auf sieben CDs eingespielt hat. Und er würde einem selbst wahrscheinlich davon abraten, denn der Künstler versteht seine Gesamteinspielung, innerhalb von zwei Wochen in der Andreaskirche Berlin Wannsee aufgenommen, ausdrücklich nicht als enzyklopädisch: Man soll vielmehr Freude an der Musik, an ihrer stilistischen Vielfalt und Tiefe haben – lauschen statt denken, und in den Pausen, die diese instrumentale Monokultur zweifelsohne einfordert, den gehörten Melodien nachhängen.

Abgesehen davon, dass Simon Borutzki mit den 148, mal kurzen und mal längeren Stücken den Kosmos seines Instruments federnden Schritts durchwandert und dessen klangliche Vielfalt aufzeigt, darf man gleichzeitig unglaublich viele Facetten dieses Musikers kennenlernen. Mit flinken Fingern lässt er die Melodien perlen wie Champagner, lauscht getragenen Melodien meditativ nach, ja scheint durch seine Instrumente zu sprechen: Borutzki spielt auf insgesamt 26 Blockflöten, wobei die meisten aus der Werkstatt Sebastian Meyer stammen. Auch für Telemanns Flötenfantasien, 2014 ebenfalls für klanglogo eingespielt, nutzte der Künstler zwölf verschiedene Instrumente. „Unsere Flöten sind gut, wenn sie nicht wie Flöten klingen“, hat Ernst Meyer, Gründer der Schweizer Blockflötenmanufaktur mal gesagt. Simon Borutzki tritt den Beweis für diese Güte an: Hier hört man Vögel zwitschern, Winde wehen, murmelnde Bäche, Singstimmen, wenn van Eycks Melodien und ihre Variationen erklingen.

Als Soloinstrument trat die Blockflöte vor allem nach ihrer Umgestaltung in Frankreich Mitte des siebzehnten Jahrhunderts hervor: Die bislang gespielte Renaissance-Blockflöte, ein Instrument mit zylindrischer Bohrung, war aus einem einzigen Stück Holz gefertigt und wurde hauptsächlich im vollständigen Satz für Ensembles produziert. Auf einem solchen Instrument wird auch Jacob van Eyck musiziert haben. Der von Geburt an blinde Niederländer wirkte als Carilloneur, also Glockenspieler. Derart in Dienst gestellt oblag es ihm auch, zur öffentlichen Unterhaltung Flöte zu spielen, woraus schließlich drei Bände resultieren, die die Musik des hier vorgestellten „Fluyten Lust-hof“ beinhalten. Der Booklet-Text ist augenzwinkernd mit „Die Hits der 1630er, 1640er und das Beste von damals“ überschrieben, handelt es sich doch um seinerzeit populäre Melodien, Tänze, Volksweisen, Choräle und Psalmvertonungen. Es ist schlicht die Popmusik, die populäre Musik aus der Mitte des 17. Jahrhunderts.

Das damals gängige Instrument wich bald mehr und mehr der verbesserten Barock-Blockflöte mit konischer Bohrung, hergestellt aus verschiedenen ineinandergreifenden Holzteilen. Borutzki spielt dieses „moderne“ Instrument in Ausführungen von der höchsten Sixthflute durch alle Register bis zur tiefsten Tenor-Blockflöte. Diese Vielfalt ist neben der Virtuosität des Interpreten das zweite Markenzeichen der zweiten Gesamteinspielung von des „Fluyten Lust-hof“ überhaupt. Und sie hebt sich wohltuend von der ersten, die Dan Laurin vor mehr als 20 Jahren beim Label BIS vorlegte und in der er neun CDs mit mehr als zehn Stunden Musik (aber weit weniger Instrumenten) füllte. Was damals automatisch den Maßstab setzte, wird von Simon Borutzki nun übertroffen: Originell und vor allem individuell geht er jedes Stück an, spürt van Eycks Ideen und Genius nach und übersetzt das Entdeckte motorisch agil wie gestenreich ins Heute.

Dabei erinnert er an eine Bemerkung, die sein Kollege Maurice Steger (notabene auch Großkunde bei Sebastian Meyer) in einem Interview fallen ließ: „In einer Bar, wenn eine junge Frau fragt: ‚Spielst du ein Instrument? Oh, Blockflöte?‘ Das ist very unsexy. Aber die Kunst ist, Blockflöte zu spielen, dass es sexy ist.“ Ob man Simon Borutzkis Spiel nun derart etikettieren mag oder kann, ist Ansichtssache. Auf jeden Fall aber ist es höchst attraktiv und lädt reizvoll zu manch erquicklichem Spaziergang im „Fluyten Lust-hof“ des Jacob van Eyck ein, dem mit dieser neuen Gesamteinspielung auch ein verdientes Denkmal gesetzt wird.

Jacob van Eyck: Der Fluyten Lust-hof (Gesamteinspielung) | Simon Borutzki (auf 26 verschiedenen Blockflöten) | 7 CDs | klanglogo Nr. KL154748-7

zurück