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Musik abseits der Metropolen

Das Reussische Kammerorchester Gera hatte im Beethovenjahr 2020 ebenfalls etwas zu feiern: sein 60-jähriges Bestehen. Aus diesem Anlass entstand die CD „Musik in Thüringen zur Beethovenzeit“, auf der neben der ersten Sinfonie Beethovens Werke von Luigi Cherubini, Franz Seraph Destouches und Johann Christian Rinck zu hören sind. Bei der Ouvertüre von Cherubinis Oper „Fanisca“ handelt es sich um die Weltersteinspielung der historisch-kritischen Neuausgabe, bei Destouches‘ Ouvertüre von „Die Hussiten von Naumburg im Jahr 1432“ (der Vertonung eines Vaterländischen Schauspiels August von Kotzebues) sowie Rincks erstem Fagott-Konzert um erstmalige CD-Einspielungen überhaupt.

Aufgenommen wurde dieser lohnenswerte akustische „Blick über den Tellerrand“ im vor 120 Jahren eröffneten Theater- und Konzertsaal Gera. Die akustischen Verhältnisse unterstützten die Tontechnik eine durchgehend transparente Aufnahme zu produzieren. Dazu trägt natürlich auch das exquisite Spiel des von Werner Erhardt geleiteten Reussischen Kammerorchesters bei: Die verschiedenen Register des orchestralen Klangkörpers musizieren im angenehm austarierten Dialog homogen und durchhörbar.

Der Bezug zu Thüringen ist jedoch nicht nur durch die Interpreten gegeben: Natürlich war es auch die Musik von Beethoven und des von diesem hoch geschätzten Cherubini, die ihrerzeit und damit auch hierzulande gespielt wurde. Interessant sind aber vor allem die Werke der Zeitgenossen Destouches und Rinck, die den regionalen Aspekt des Programms prägen, weswegen ihre Musik hier näher betrachtet werden soll:

Franz Seraph Destouches (1772-1844) wirkte als Konzertmeister am Weimarer Theater, wo er sich als Komponist von Schauspielmusiken einen Namen machte. Da solche Werke heute kaum mehr Beachtung finden, ist es ein Verdienst dieser Aufnahme, auch solche „Gelegenheitsmusiken“ einmal aufs Tapet zu bringen und dabei zu zeigen, wie man mit frischem Geist und Spielfreude gleichsam den Staub vom aus den Weimarer Archiven geholten (und eigens für diese Produktion edierten) handschriftlichen Notenmaterial blasen kann. Destouches‘ Tonsprache blieb übrigens klassisch und sperrte sich gegen die Strömungen musikalischer Mode. Insofern dokumentiert die vorliegende CD auch ein stilistisches Entwicklungsgefälle zwischen den damaligen Musikmetropolen wie Wien und regionalen Kulturszenen.

Sein Fagott-Konzert Nr. 1 schrieb Johann Christian Rinck (1770-1846) zwar in seiner Darmstädter Zeit, geboren wurde der Komponist jedoch im thüringischen Elgersburg. Roland Schulenburg, Solofagottist des Philharmonischen Orchesters Gera, ist hier der Solist und munter tupft das Reussische Kammerorchester die Klangkulisse hin, vor der er seinen Part wunderbar kantabel spielen kann. Hier fasziniert der schillernde Wechsel von Integration ins Tutti und Heraustreten aus dessen Schatten. Schulenburgs Spiel ist federleicht und erinnert in den hohen Lagen fast schon an den Ton einer Oboe. Hervorzuheben ist auch das anrührende Adagio des zweiten Satzes mit dem schwebend tänzerischen Duktus des Fagotts.

Musik in Thüringen zur Beethovenzeit – Cherubini, Rinck, Destouches | Reussisches Kammerorchester, Roland Schulenburg (Fagott), Werner Ehrhardt (Leitung) | KL 1540

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