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Lust auf Lyrik!

Marco Tschirpke ist nicht erst jetzt unter die Poeten gegangen – da ist er ja schon längst angekommen und heimisch. Nun aber liegt ein erster Gedichtband vor. Man findet ihn in der Post. Und legt ihn beiseite: Anderes steht zuvor an. Irgendwann aber nimmt man das Buch zur Hand. Und kann nicht mehr davon lassen. Wunderbar!

Es gibt Texte, die liest man. Und es gibt welche, die genießt man – wie einen exzellenten Wein, der punktgenau zur Speise, zum Anlass, zum Augenblick passt. Solche Texte, um im Bilde zu bleiben, kann man wortwörtlich mit den Augen trinken, die Sätze und Worte auf der Netzhaut zergehen lassen, die Gedanken im Kopfe hin und her schwenken, ihre Struktur und Tiefe, ihren Nachhall goutieren.

Derart geschmackvolle Texte hat Marco Tschirpke jetzt in einem Buch mit dem schlichten Titel „Gedichte“ vorgelegt. Ein reiner Lyrikband, nicht illustriert – 147 kleine und große Poeme. Optisch reduziert, inhaltlich reich: Humorvoll-hintersinnig wie Er- oder Gernhardt, auserlesen formuliert und elegant gereimt reizen einen die Gedichte, sie dem Gegenüber – wenn vorhanden – sogleich vorzulesen.

Da ist ein Stillleben mit Fliege, da sind Cranach und Picasso, Blumen, Tiere, Frauen – Tschirpke geht mit wachen Augen durchs Land und die Zeit, fängt Gedanken ein und setzt ihnen ein Denkmal aus Buchstaben. Wer schon mal über die seelenlose Bebilderung eines Hotelzimmers sinniert hat, weiß jetzt was zu tun ist. Viele Gedichte lassen schmunzeln, manche rühren einen zutiefst, wieder andere regen mit ihrem politischen Impetus zum Nachdenken an. Und gar nicht mal selten, registriert man staunend, kommt alles zusammen.

Wem die Gedichtbände von Schiller und Goethe im Bücherregal verstauben, der greife zum Tschirpke. Hier kriegt man wieder Lust an der Lyrik. Und auf sie. „Gedichte“ hat einen Untertitel: Er lautet „Band 1“. Hoffentlich ein Versprechen.

Aktuell liegt eine CD mit Tschirpkes Gedichten vor – gelesen von Harry Rowohlt. Keine Frage, der Mime trägt die Verse mit wohligem Brummen vor und es ist eine Freude, sie so zu hören. Doch 69 Gedichte hintereinander, unterbrochen einzig durch sieben von Tschirpke komponierte und eingespielte Klavierstücke – das könnte den Hörer zu Lasten der Texte überfordern. Zumindest sollte, wer Rowohlts Vortrag lauschen möchte, das Buch und die Fernbedienung zur Hand haben, um die Lesung für ein Repetieren zu unterbrechen. Die Musik indes ist wunderbar, vor allem die kleine Fughette über BASF. Respekt!

Marco Tschirpke: Gedichte | Band 1; Verlag André Thiele, ISBN 978-3-940884-89-3, 176 Seiten, (18 Euro)

Schiffe tuten auf dem Meer | Harry Rowohlt liest 69 Gedichte von Marco Tschirpke; KKV KONKRET 2014, ISBN 978-3-930786-72-5, (12 Euro)

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