» Aktueller Tipp

In guter Verfassung?

„Schwarzrotgold“ lautet der Titel eines Magazins der Bundesregierung. Das Titelthema der zweiten Ausgabe ist der 70. Geburtstag des Grundgesetzes, auf der Rückseite wirbt eine Eigenanzeige: „In guter Verfassung. Dank guter Verfassung.“ Leicht konträr dazu liest sich die aktualisierte Neuauflage des satirischen Gesetzeskommentars „Alles in bester Verfassung“ aus der Feder des Berliner Kabarettisten Martin Buchholz.

Auch er feiert diesen runden Geburtstag – allerdings eher mit Selters statt Sekt: Auf dem Deckel sieht man Buchholz sorgenvoll über eine Ausgabe des Grundgesetzes hinweglinsen. Und in Anlehnung an Jonas Jonassons Bestseller „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ lautet der Titel hier: „Die Siebzigjährige, die man zum Fenster hinauswarf und die einfach nicht verschwand.“ Die spöttische Abrechnung regt einen zum Nachdenken und -fragen an: Wie geht es der Seniorin denn aktuell? Und was kann, ja muss man tun, dass aus ihr kein Pflegefall wird?

Buchholz‘ Fazit vorweg: „Ich finde, wie sollten dieses Grundgesetz nicht länger verabschieden, sondern es endlich wieder herzlich bei uns willkommen heißen. Es ist immer noch in weiten Teilen die menschenfreundlichste Verfassung, die sich die Deutschen jemals zugetraut haben.“ Und über die Abgeordneten schreibt er: „So wird meist unbeachtet von der Öffentlichkeit im mühsamen Bundesalltag schlicht und einfach Demokratie praktiziert.“ Zwischen Lob und Erkenntnis jedoch geht es kundig ins Detail: Wie unantastbar ist die Würde des Menschen denn nun wirklich noch? Und was ist mit dem Recht auf Asyl oder der Bundeswehr im Ausland?

Der Kabarettist Martin Buchholz weiß, wovon er schreibt. Bevor er die Kleinkunstbühnen der Republik betrat, arbeitete er seit 1961 als Reporter und Redakteur, schrieb unter anderem für „Stern“ und „Spiegel“ sowie die Zeitschrift „konkret“. Buchholz ist Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland, einer Vereinigung von Schriftstellern mit Sitz in Darmstadt, und wurde mit zahlreichen Kabarettpreisen bedacht, darunter im Mainzer Unterhaus mit dem Deutschen Kleinkunstpreis. Die Jury nannte ihn 1990 einen „treffsicheren Spurensucher und wortreichen Mundwerker, bei dem sich kritische Analyse und spaßige Denkverführung ergänzen.“

Zu diesem Urteil dürfte auch der Leser von Buchholz‘ Auseinandersetzung mit dem deutschen Grundgesetz kommen: In kurzen und flüssig zu lesenden Kapiteln widmet er sich auf 144 Seiten oft entlarvend wortverspielt der Historie und bestimmten Paragraphen, die sich heute zuweilen ganz anders lesen als sie von den vielen Gründervätern (und wenigen -müttern) einst ersonnen wurden. Zuweilen wird Buchholz‘ Satire zu beißendem Zynismus, doch das muss man aushalten: Die Verfassungsbeschwerde soll ja zu hören sein.

Martin Buchholz über die deutsche Verfassung: „Die Siebzigjährige, die man zum Fenster hinauswarf und die einfach nicht verschwand“ | 144 Seiten, gebunden | Wostok-Verlag Berlin | 16 Euro

zurück