Große Entdeckerlust
Nach dem Debüt-Album „Cantate Domino“ hat das Ensemble BachWerkVokal bei MDG seine zweite „Motto-CD“ veröffentlicht: „Jesu meine Freude“ stellt vier Werke gegenüber, denen der gleichnamige berühmte Choral zugrunde liegt. Natürlich ist die Motette von Johann Sebastian Bach zu hören, dann eine weitere von Johann Friedrich Doles, einem von Bachs Nachfolger im Amt des Thomaskantors, sowie Kantaten von Johann Ludwig Krebs und Georg Philipp Telemann. Die Klangkompilation ist klug wie geschmackvoll und erneut exquisit musiziert. Eine feine CD!
Über allem steht natürlich die Bach-Motette, die als drittes Werk erklingt. Dirigent Gordon Safari liefert eine bemerkenswert intensive Interpretation, die Choralstrophen werden transparent begleitet, wobei Orgel, Laute und Cembalo immer wieder apart herausklingen. Beim Choral könnte der Fokus etwas mehr auf dem Textfluss als auf den Fermaten als Zielpunkte liegen, aber wenn es da dann „kracht und blitzt“, ergreift einen die Musik fast schon plastisch. Wie von Ferne ertönt a cappella der Chor „Denn das Gesetz des Geistes“, bevor der „alte Drache“ sein Haupt erhebt, die gläubige Seele jedoch dem Toben der Welt äußerst gelassen gegenübersteht. Wenn BachWerkVokal auf jeder CD eine Bach-Motette derart inspiriert einspielt, darf man sich schon heute auf die nächsten freuen.
Aber höchst lobenswert ist ja eben, dass sich Gordon Safari und das vokal und instrumental exzellent besetzte Ensemble statt eine weitere Gesamteinspielung von BWV 225ff zu liefern umschauen und darüber hinaus spannende wie hörenswerte Musik entdecken. Da ist die elegant und schwungvoll musizierte Kantate von Krebs, in der eine „Glockenarie“ erklingt: Der liebliche Sopran von Zsófia Szabó bildet mit einem leichten Vibrato die Schwingungen ab, der Glockenschlag wird von den Streichern pizzicato auf der 2 und 4 markiert. Die textlich leicht abweichende vierstimmige Motette von Doles ist ebenfalls originell, beispielsweise singt der Bass in der Strophe „Donnert auch im Grimm“ den Cantus firmus. Die Diktion ist ohne Fehl und Tadel – ein weiterer lohnenswerter Blick über den musikalischen Tellerrand.
Mit Telemanns Kantate präsentiert BachWerkVokal neben Doles eine zweite Weltersteinspielung. Ein wenig befremdlich ist bei Safaris Interpretation das Verständnis der Choralstrophen: Durch arges Längen verleiht er den doch offensichtlich eher als Bindeglieder zwischen den einzelnen Nummern vorgesehenen Textzeilen ein Gewicht, das sie schlicht nicht haben. Und indem sie derart als eigene Stücke behandelt werden, wird die Kantate parzelliert, ihr immanenter Fluss unterbrochen. Die Textausdeutung im Chor „Wenn ich nur dich habe“ ist zuweilen eigenwillig und die Binnenagogik hier arg überreizt, doch abgesehen davon musiziert BachWerkVokal auch diese Kantate höchst gekonnt. Sehr schön klingt eine weitere Glockenarie (Jakob Hoffmann mit delikatem Bass), in der Telemann den Hörer durch rhythmische Verschiebungen in den Streichern pikant irritiert. In der Sopran-Arie (Electra Lochhead mit geschmackvollem Sopran) sind gleich vier Blockflöten zu hören. Telemann hat über 1.700 Kantaten komponiert – auch hier gibt es also noch unglaublich viel zu entdecken.
Jesu meine Freude – Kantaten und Motetten von Bach, Doles, Krebs, Telemann | Ensemble BachWerkVokal, Godon Safari (Leitung) | MDG Nr. 923 2207-6