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Perlentaucher mit reicher Beute

Wieviel großartige Musik mag heute wohl in den Archiven noch auf ihre Wiederentdeckung warten? Zweifelsohne existiert ein großer Schatz, der von neugierigen und mutigen Musikerinnen und Musikern von Zeit zu Zeit in Teilen gehoben wird. Das zeigt die neue bei Et’Cetera Records erschienene CD des von Nele Vertommen und Beniamino Paganini geleiteten belgischen Ensembles Musica Gloria mit Werken aus der Sammlung von Georg Österreich (1666-1735) mit Werken von ihm selbst, seinem Bruder Michael und anderen frühbarocken Komponisten.

Österreich war lange Zeit weder als Musiker noch als Sammler geistlicher Musik ein Begriff: Sein Konvolut kannte man unter dem Namen des Nachbesitzers als „Sammlung Bokemeyer“. Es enthält Werke des ausgehenden 17. sowie beginnenden 18. Jahrhunderts und gilt als eine der bedeutendsten Musikaliensammlungen ihrer Zeit. Auf Österreich und sein Werk stieß die Oboistin Nele Vertommen auf der Suche nach unbekannten Werken dieser Epoche für ihr Instrument. Aus diesem erfolgreichen „Perlentauchgang“ entstand das attraktive Programm der CD.

Neben drei Stücken der Gebrüder Österreich werden Kantaten von Johann Theile, Heinrich Bokemeyer, Johann Philipp Förtsch, Johann Friedrich Meister und Giulio Giuliani musiziert. Sämtliche Werke sind Weltersteinspielungen und man hört den Ausführenden in jedem Takt die Begeisterung an, diese Terra incognita zu betreten und zu erschließen. Musica Gloria vereint exzellente Musikerinnen und Musiker an Oboe, Dulzian, Fagott, Violine, Viola, Tenorgeige, Violoncello, Orgel und Cembalo, die perfekt mit dem achtstimmigen Vokalensemble harmonieren.

Hier musizieren, ganz der historischen Aufführungspraxis verpflichtet, Solo- und Ripieno-Stimmen gemeinsam. Man kommt dabei nicht nur in den Genuss eines homogen und transparent singenden Ensembles, sondern auch von Stimmen, die elegant zurücknehmend als echte Chorsänger agieren, was die Klangqualität noch steigert. Die unterschiedliche Kombination der Stimmen vom Solo bis zur Siebenstimmigkeit spiegelt dies trefflich wider, wobei man die Kirchenkantate ein Stück ihrer Genese begleitet.

Aufgenommen wurde in der St. Mauritiuskirche im niedersächsischen Hollern-Twielenfleth, die über eine restaurierte und sich nun wieder im Originalzustand befindliche Arp-Schnitger-Orgel aus dem Jahr 1690 verfügt. Auch die eingespielte Musik kommt aus Norddeutschland. Chor und Instrumentalensemble standen sich bei der Aufnahme gegenüber: das Orchester auf der Empore, die Vokalisten auf den Kirchenbänken stehend, wodurch sich gemeinsam mit der in der Mitte befindlichen Orgel (als dem Kircheninstrument der Barockzeit schlechthin) ein perfekt ausbalancierter Gesamtklang ergibt.

Vergessene Werke Alter Musik derart vital wieder ins Bewusstsein zu rücken ist immer eine spannende Aufgabe, der sich die Künstlerinnen und Künstler hier mit Akribie widmen. Dafür haben sich die Verantwortlichen sowohl in Theorie als auch in Praxis intensiv mit den Neuentdeckungen und ihrer Interpretation auseinandergesetzt. Das geht soweit, dass man die Aussprache der von Bokemeyer und Giuliani vertonten lateinischen Texte an die im Herkunftsland übliche Diktion angepasst hat. Weitere Aspekte der Interpretation sind von den Ensembleleitern im informativen Booklet ausgeführt. „Georg Österreich’s Resurrected Treasures“ ist nicht die erste CD von Musica Gloria, aber das Debüt mit Vokalmusik. Bitte mehr davon!

Georg Österreich’s Resurrected Treasures | Musica Gloria, Nele Vertommen und Beniamino Paganini (Leitung) | Et’Cetera Records KTC 1819

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