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WO mit Wumms

Der große Johann Sebastian Bach war in erster Linie Organist. In der damaligen „Neuen Kirche“ im thüringischen Arnstadt, der heutigen Bach-Kirche, erhielt er seine erste Anstellung in dieser Position. Und dort erklangen – aufgenommen im Dezember 2020 und damit im ersten von Corona musikalisch so schmerzlich beeinträchtigten Jahr – die ersten drei Kantaten des Weihnachtsoratoriums; Nr. 4 bis 6 wurden am gleichen Ort im April des Folgejahres aufgezeichnet.

Wird bei Aufführungen Bachscher Oratorien normalerweise auf eine kleine Truhenorgel zurückgegriffen, spielt der Arnstädter Organist Jörg Reddin hier nun auf der große, rekonstruierten Wender-Orgel, die Bach seinerzeit 1703 prüfte und abnahm. Diese klanglich durchaus präsente Tatsache ist das eigentliche und spannende Alleinstellungsmerkmal der vorliegenden Neueinspielung durch das Ensemble Polyharmonique und das Thüringer Bach Collegium unter der Leitung von Gernot Süßmuth.

Man singt und musiziert authentisch, also solistisch besetzt. Das gefällt und die hohe stimmliche Qualität der Doppelquartette macht das dadurch übersichtliche „Personal“ beim Einsatz „himmlischer Heerscharen“ locker wett – zu schön klingen die in allen Registern vorzüglich besetzten Vokalisten in den transparent muszierten Chören und Chorälen. Gerade diese weiß Süßmuth immer wieder überraschend differenziert zu betrachten: mal ganz oder teilweise a cappella, mal mit Orgelinterludium und vor allem mit dem – für das Wort sei vorab um Entschuldigung gebeten – Knalleffekt, wenn sogar der Zimbelstern zum Einsatz kommt. Hier wird mit dem sattsam bekannten Werk also gleichsam klug gespielt – im besten Wortsinn unerhört.

Die Arienpartien sind mit wechselnden Stimmen besetzt und Benjamin Glaubitz gefällt als Evangelist, der kultiviert durch die Geschichte um Jesu Geburt führt; dabei erklingen im Basso continuo statt Cembalo Orgel sowie die perlend und licht gespielte Laute von Axel Wolf (der hier stellvertretend für die wunderbar musizierenden Mitglieder des Thüringer Bach Collegiums genannt sein soll). Nicht nur die Chöre, auch die Choräle werden von der großen Orgel begleitet, und zwar mit zuweilen und vergleichsweise – erneut sei die Wortwahl vergeben – viel Wumms.

Doch gehört gerade auch dies zur Originalität der vorliegenden, auch insgesamt in sich schlüssigen und (abgesehen von manchen allzu sportlichen Tempi) überzeugenden Aufnahme, die die Kantaten nicht als einzelne Stücke abbildet, sondern attacca aneinanderreiht. Die auf der ersten CD erklingenden Stücke waren übrigens als Beitrag des Euroradio Christmas Music Day 2020 zu hören: als wertvoller Ersatz für so viele ausgefallene Weihnachtskonzerte. Dieses Projekt auf CD zu bannen ergänzt die Fülle der WO-Einspielungen trefflich.

Johann Sebastian Bach: Weihnachtsoratorium BWV 248 | Ensemble Polyharmonique, Benjamin Glaubitz (Tenor), Thüringer Bach Collegium, Jörg Reddin (Orgel), Gernot Süßmuth (Leitung | Rondeau ROP622122

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