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„Elias“ duldet keinen Widerspruch

Als Felix Mendelssohn-Bartholdy seinen „Elias“ am 26. August 1846 im englischen Birmingham uraufführte, erntete er Stürme der Begeisterung. Ob es der aktuellen Einspielung mit dem Windsbacher Knabenchor und dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin (DSO) unter Karl-Friedrich Beringer gelingt, ähnlichen Jubel hervorzurufen? Das Zeug dazu hat die Sony-Produktion allemal.

Es ist nicht als ehrenrührig zu verstehen, wenn der Beginn fast ein bisschen wie Filmmusik anmutet. Schon die Hauptfigur des Elias wird in den ersten Takten von Alexander Marco-Buhrmester fast schon plastisch eingeführt: Hier singt nicht (wie so oft) ein brachialer Brüller, sondern einer, dessen Stimme Autorität verströmt und Respekt einflößt. Die folgende Ouvertüre drängt voran und macht mit ihrer wohldosierten Dramatik neugierig auf diesen alttestamentarischen Mythos, den Mendelssohn hier erzählen möchte.

Dieser „Windsbacher Elias“ ist jedoch nichts zum entspannten Zuhören, denn er fesselt einen von der ersten bis zur letzten Note. Und gerade das zeichnet ihn aus: Es ist eine spannende Geschichte, die Dirigent Karl-Friedrich Beringer und seine Knaben sowie die mit Bedacht ausgewählten Solisten – neben Marco-Buhrmester sind dies Sybilla Rubens (Sopran), Rebecca Martin (Alt) und Markus Schäfer (Tenor) – hier erzählen. Nicht mehr. Und weniger schon gar nicht.

Ein Textbuch braucht man hier übrigens nicht, denn dieser Einspielung ist eine durchgängige Transparenz eigen: Exzellent verständliche Sprache und höchste Homogenität adeln Chor, Orchester und Solisten gleichermaßen. Mit Bögen, die in die Unendlichkeit zu reichen scheinen, zieht Beringer das Szenario des Propheten auf, der die Dürre verkündet, das Wunder der Heilung des kranken Sohns der Witwe zu Zarpath erlebt, mit den Anhängern Baals streitet und das Wunder des einsetzenden Regens verkündet. Der Hörer begleitet Elias in die Wüste, ist bei ihm, als ihm der Herr auf dem Berg Horeb erscheint und blickt dem Propheten bei seiner Himmelfahrt nach.

Die Windsbacher Knaben ergründen in ihren Chören alle Gefühlsregungen vom hilflosen Volk, das nach Wasser dürstet, über die Aggressivität der scheinbar von Gott Verlassenen bis zum hektischen Gezappel der Propheten Baals, deren Bedrängnis Beringer nicht vordergündig durch wachsende Lautstärke, sondern fast allein durch ein Anschwellen der inneren Spannung nachzeichnet.

Überhaupt ist vieles so angenehm anders als „sonst“: Das Doppelquartett der Engel ist von allem Kitsch befreit und mit einem raschen Tempo sprengt Beringer die romantische Verkrustung dieses wunderbar vertonten Psalmwortes auf. Die Dynamik ist in stetem Fluss und die Solisten drängen sich in den Arien zu keinem Zeitpunkt in den Vordergrund, sondern verschmelzen mit dem filigran spielenden DSO zu einer ansprechenden Einheit: Hier ist man primus – oder prima – inter pares.

Die musikalischen Protagonisten erweisen sich jeder für sich und alle zusammen als geschmackvolle Erzähler: Marco-Buhrmesters Elias, der süffisant über die Propheten Baals spottet, duldet keinen Widerspruch; Sybilla Rubens betört als Engel und Witwe, die eindringlich um das Leben ihres Sohnes bangt; Rebecca Martins Alt leiht sowohl der rachsüchtigen Königin als auch dem schützenden Engel die passende Stimme und schließlich überzeugt der strahlende Tenor von Markus Schäfer als Erzähler, König Ahab sowie Obadjah gleichermaßen.

Und dann ist es doch immer wieder diese unglaubliche Fähigkeit des Windsbacher Knabenchores, Klang und Sprache so einzigartig miteinander zu verbinden: Wenn das vom Himmel herabfallende Feuer besungen wird, mag man sich fast ducken und bei den brausenden Wasserwogen bekommt man Angst vor nassen Füßen. Silbrig glänzen die Knaben im Terzett „Hebe deine Augen auf zu den Bergen“ und wohlig samtig beruhigt der Chor: „Wer bis an das Ende beharrt, wird selig.“ Hier wird nicht nur gesungen – hier wird verkündet. Und alle Zweifel schweigen einen Moment lang still.

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