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Musiker mit heilenden Händen

Albert Schweitzer, der Theologe und Urwaldarzt, Spendensammler und Hochschullehrer, Bauleiter und Organist, hatte ein hehres Ziel: Im Alter von 30 Jahren wollte er mit der bürgerlichen Existenz als Gelehrter brechen, um als Arzt in Afrika Menschen in Not zu helfen.

Diese Idee setzte er vor hundert Jahren in die Tat um und reiste nach absolviertem Medizinstudium mit seiner Frau Helene, die er ein Jahr zuvor geheiratet hatte, in die französische Kolonie Gabun in Äquatorial-Afrika. Nahe der Stadt Lambarene am Fluss Ogowe begann man, ein Hospital zu errichten. Von ihm stammt folgender Wahlspruch: „Ich bin Leben, das leben will – inmitten von Leben, das leben will.“

Neben Lambarene steht Albert Schweitzer vor allem für seine tief verinnerlichte Ehrfurcht vor dem Leben: Als Pantheist fühlte der Arzt nicht nur mit den kranken Menschen, sondern auch mit Tieren und Pflanzen, ja sogar mit Insekten. Seine Maxime lautete dabei: „Gut ist: Leben erhalten, Leben fördern, entwicklungsfähiges Leben auf seinen höchsten Wert bringen. Böse ist: Leben vernichten, Leben schädigen, entwickelbares Leben niederhalten.“

Das Spital in Lambarene war daher auch ein Versuch ob „eine friedliche Gemeinschaft aller Kreatur auf der Erde möglich sei, ob die Ehrfurcht vor dem Leben eine tragfähige Grundlage sei und ob sie sich bewähre in der Wirklichkeit mit allen ihren Nöten und Freuden“, wie Schweitzer es formulierte und dabei bekräftigte: „Es gibt nicht nur ein Lambarene, jeder kann sein Lambarene haben.“

Neben zahlreichen Ehrungen erhielt der Urwaldarzt, der sich auch gegen Kernwaffenversuche engagierte, 1952 den Friedensnobelpreis, dessen Dotierung er für die Errichtung eines weiteren Lepradorfes verwendete. Neun Jahre nach dem Tod seines Gründers wurde das Krankenhaus in Lambarene 1974 von einer internationalen Stiftung übernommen und umfasst heute als Dr. Albert Schweitzer-Spital, das jährlich Tausende von Patienten behandelt, chirurgische und allgemeinmedizinische Abteilungen sowie eine Kinder- und Zahnklinik. Im Labor wird Malaria erforscht und das Lepradorf beherbergt noch immer ehemalige Erkrankte sowie deren Angehörige.

Die bescheidenen Anfänge in einem zum Behandlungsraum umgebauten Hühnerstall jähren sich in diesem Jahr zum 100. Mal, woran über 200 Benefizkonzerte in ganz Deutschland erinnern. Damit tritt man in die Fußstapfen des großen Humanisten, der auf seinen Reisen in die Heimat immer wieder Konzerte gab, um Spenden für sein Urwaldkrankenhaus zu sammeln, was ihn zu einem der bekanntesten Organisten seiner Zeit machte. Hierbei wollte er „dem Hörer etwas geben, ihm die Aussage der Musik mitteilen, ihn vom Weltlichen lösen. Die Töne sollen ihm vom Frieden und von der Heiterkeit und von jener Sanftheit erzählen, aus der wir die Kräfte zum Weiterleben schöpfen.“

Seine Wege führten ihn dabei auch gerne nach Rheinhessen: Mehrfach war Schweitzer Gast in Oppenheim und spielte in der Katharinenkirche auf der von ihm sehr geschätzten Walcker-Orgel. Gemeinsam mit dem französischen Organisten und Komponisten Charles Widor war er Herausgeber von Bachs Orgelwerken und Biograph des Thomaskantors. Als Fachmann auch im Orgelbau war sich Schweitzer sicher: „Maßstab einer jeglichen Orgel, bester und alleiniger Maßstab, ist die Bachsche Orgelmusik.“

Seine wichtigste musikalische Wirkungsstätte war indes St. Thomas zu Straßburg, wo am 28. Juli ein besonderes Gedenkkonzert stattfand: Thomasorganist Ullrich Böhme griff die von Schweitzer dort kultivierte Tradition auf, am Todestag Bachs zu konzertieren. Er musizierte dabei auf der größten in weiten Zügen erhaltenen Silbermann-Orgel Werke des Thomaskantors, die auch von Schweitzer geschätzt und gespielt wurden.

Vorab wurde von diesem Programm eine CD aufgenommen, auf der auch eine historische Aufnahme aus dem Jahr 1936 zu hören ist: Albert Schweitzer selbst spielt in der Straßburger Kirche Sainte-Aurélie das Adagio a-moll aus Bachs C-Dur-Toccata (BWV 564). Hier hört man etwas davon, was Albert Schweitzer meinte, als er rhetorisch fragte: „Gibt es denn noch etwas, da höher ist als ein ‚guter Organist‛ zu sein, ein solcher, der sich bewusst ist, nicht seinen Ruhm zu suchen, sondern hinter der Objektivität des heiligen Instruments zu verschwinden und es allein reden zu lassen?“

„100 Jahre Menschlichkeit: Albert Schweitzer in Lambarene“: Ullrich Böhme spielt Werke von Johann Sebastian Bach in St. Thomas, Straßburg; Rondeau, CD ROP6073

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