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Buchbilder – Kunst, die (nicht) aus dem Rahmen fällt

Nicht nur im Atelier der Mainzer Journalistin, Biografin und Buchbinderin Emily Paersch hängen zahlreiche Buchbilder, sondern mittlerweile auch schon in vielen Wohnzimmern und Geschäftsräumen. Was Buchbilder sind? Hierfür ist es hilfreich, ein paar Jahre zurück zu schauen – ein paar Jahrhunderte sogar…

Was haben der Erfinder des Buchdrucks mit beweglichen Metalllettern, der ehrenwehrte Johannes Gutenberg und die Journalistin Emily Paersch gemeinsam? Nun, sie sind beide Mainzer, der eine um 1400 geboren, die andere 567 Jahre später. Und beide haben ein besonderes Faible für das Buch – und zwar nicht das, was wir heute allgemeinhin als Paperback oder schön gebundene Ausgabe von Thomas Mann, Umberto Eco, John Grisham oder David Lodge im Regal stehen haben.

Gutenberg träumte vom einfach und in hoher Zahl herstellbaren Schriftstück; Emily Paersch geht einen Schritt weiter: Sie will das Buch in ein neues Licht rücken, es von einer anderen Seite sehen, sich im wahrsten Sinne des Wortes ein neues Bild vom Buch an sich machen: ein Buchbild. Das ist neu.

Denn für Emily Paersch und ihren Mann Andreas – zusammen betreiben sie in der Gutenbergstadt Mainz die Ideenwerkstatt Paersch – sind Bücher nicht nur rücklings zusammengefügte Blätter: „Ich betrachte ein Buch als etwas Sinnliches“, erzählt die Mainzer Journalistin, die den Schritt in die Selbständigkeit wagte.

Ihre schreiberischen Talente setzt sie seitdem in der eigenen Biografiewerkstatt um, wo sie für oder mit ihren Kunden deren Lebensgeschichte oder Firmenhistorie recherchiert, aufschreibt und abschließend in ein eigens von ihr in Handarbeit hergestelltes Buch druckt – wobei sie hierfür natürlich die moderne Textverarbeitung nutzt, auch wenn in ihrem Atelier ein alter, mit Original-Bleibuchstaben bestückter Setzerschrank aus dem Fundus des Mainzer Gutenberg-Museums steht…

Bevor Paersch begann, eigene Bücher herzustellen und ihre Buchwerkstatt einrichtete, erlernte sie sozusagen zu Beginn des 21. Jahrhunderts dieses edle, doch leider vom Aussterben bedrohte Handwerk beim Mainzer Buchbinder Ludger Kochinke. Zuvor hatte sie zehn Jahre als Journalistin gearbeitet und schon immer eine Affinität zum gedruckten Wort gehabt – in Mainz, der Wiege des Buchdrucks kaum verwunderlich. Als Kind schaute sie begeistert beim traditionellen Gautschen der Buchdrucker zu und war in den Räumlichkeiten des Gutenberg-Museums zuhause.

Doch irgendwann reichte ihr diese Faszination nicht mehr und sie begann, bei besagtem Meister Kochinke allerlei über das Handwerk des Buchbindens zu lernen, über geleimte und genähte Buchrücken, Franzband und klassische Folianten. Und an die Stelle der erwähnten reinen Affinität zum gedruckten Wort trat die Liebe zum eigenen, in Handarbeit hergestellten Buch.

Doch diese Liebesgeschichte ist hier noch lange nicht zu Ende: Denn wie Johannes Gutenberg ein ewiger Tüftler war, kennen auch Emily und Andreas Paersch keinen geistigen Stillstand, sondern überlegten, wie man diese besonderen Bücher richtig in Szene setzen könnte. Und da die Journalistin und der Marketing-Mann seit jeher Lust am Spiel finden, gerne Neues kennenlernen und ausprobieren, schwangen sie in ihrer Ideenwerkstatt kräftig den Schmiedehammer.

Andreas hatte für sich als Ausgleich für die Kopfarbeit schon früh den kreativen Umgang mit dem Werkstoff Holz entdeckt. Für sich – und die Ideenwerkstatt, denn aus der handwerklichen Tätigkeit entspringen immer wieder Impulse für gemeinsame Arbeiten und Projekte. So sind auch die Buchbilder entstanden, etwas, was es in dieser Form bisher nicht gab.

Buchbilder? Das Buch als Bild, eine Fotografie, vielleicht ein gemaltes Buch oder etwa ein Buch als Kunstwerk in einem plastischen Bild verarbeitet? Fast, mag man meinen, denn auch Emily Paersch näherte sich ihrem heutigen Produkt in mehreren Schritten. „Ein Buch ist für mich mehr als bedrucktes Papier, mehr als ein Roman oder eine Abhandlung“, blickt die Künstlerin auf den Entstehungsprozess ihrer Buchbilder zurück, in denen sie besonderen Büchern eben auch besondere Aufmerksamkeit zukommen lassen möchte.

Am Anfang stand ein handgefertigtes Standbuch im schmucken Holzschuber. Das sieht zwar ganz nett aus, doch zeigt einem das Buch mit dem Rücken quasi die kalte Schulter, da es sich ansonsten im Schuber „versteckt“. Was folgte war ein spielerischer Umgang mit dem Buch, ein Kunstwerk mit dem augenzwinkernden Titel „Schulbuch-Rache“, in dem Paersch drei alte Pennäler-Schinken mit Acryl-Gel härtete, auf einem Brett fixierte und bemalte.

Auch diese „Aufarbeitung des früheren Lernstoffes“ schmückt heute ihr Atelier. Doch da es sich in einem derart verkrusteten Buch nicht mehr gut blättern lässt, entwickelte Paersch ihre Idee weiter in Richtung Dreidimensionalität: Anstatt dass das besondere Buch wie seine Kollegen Deckel an Deckel im Regal steht, hat Paersch wortwörtlich einen passenden Rahmen geschaffen – den man an einer der eigenen vier Wände aufhängen kann.

Das Buchbild der Emily Paersch ist also tatsächlich ein Bild, in dem das herausnehmbare (!) Buch die Titelrolle spielt und zum Kunstwerk wird: Den Rahmen stellt Andreas Paersch (selbstverständlich ebenfalls per Hand) her. Gearbeitet wird die Fassung in drei Schichten, um so die Mehrdimensionalität des Buches hervorzuheben.

Ist der Rahmen fertig, kommt Emily Paersch zum Zuge; schon während der Schulzeit entdeckte sie ihre Ader für die bildenden Künste und arbeitete nach dem Abitur ein Jahr lang am Mainzer Staatstheater als Assistentin der Bühnenbildner. Ursprünglich hegte sie den Wunsch, zur Plastikerin ausgebildet zu werden; damals gab es in Deutschland gerade mal zehn Stellen hierfür. Im achtwöchigen Auswahlverfahren kam Emily Paersch zwar recht weit, scheiterte aber an den letzten Hürden.

Ihre Kreativität und Lust am Ausprobieren haben damals offensichtlich keinen Schaden genommen – im Gegenteil: Frei und ungezwungen kann die Künstlerin in ihren Buchbildern ihren Neigungen nachgehen, den besonderen Stücken eine eigene Bühne geben. Hierbei eröffnen ihr unterschiedliche Verarbeitungstechniken und Materialien wie Blattgold, Perlmutt- und Interferenzfarben, Lasuren, Lacke, Scherenschnitttechnik und Applikationen quasi unbegrenzte Gestaltungsmöglichkeiten, die Einzigartigkeit jedes Werkes, jedes Buches und Buchbildes zu unterstreichen.

Schön und gut: Aber verfehlt ein Buch, das an der Wand hängt, nicht seinen Zweck? Verschwindet es vielleicht gar in seinem Rahmen? „Das ist durchaus beabsichtigt“, beantwortet Paersch die Frage überraschend offen, denn der zufällige Betrachter des Buchbildes entdeckt das Schriftstück nicht auf den ersten Blick, soll es auch gar nicht sofort sehen: „Mit einem Buchbild lade ich auf eine Entdeckungsreise ein.“

Dass und wie dies klappt, beweist die Reaktion eines amerikanischen Besuchers, der völlig baff im Atelier von Emily Paersch stand und aus dem Staunen gar nicht heraus kam. Ähnlich ging es den Betrachtern, die 2006 am Stand der Ideenwerkstatt auf dem Mainzer „Markt der schönen Dinge“ vorbeikamen: „Auch sie konnten anfangs mit den dort erstmals präsentierten Buchbildern nichts anfangen“, erinnert sich Andreas Paersch: „Aber sie kamen einen Schritt näher und waren verblüfft, als sie in den Rahmen die Bücher entdeckten.“ 2007 waren Paerschs als Teilnehmer eines Wettbewerbs der Stiftung Buchkunst mit ihrer Idee auch auf der Frankfurter Buchmesse zu Gast.

Die ersten Schritte auf dieser Entdeckungsreise sind also getan – die Intension hierfür findet sich ebenfalls in Emily Paerschs Biografie, denn schon immer ließ sie sich unternehmungslustig vom Reisefieber packen und hat vor dem Start ins Berufsleben im Rahmen eines internationalen Wettbewerbs sogar schon einmal die Welt umrundet – ohne Flugzeug: Über 40.000 Kilometer legte sie damals unter anderem mit der Transsibirischen Eisenbahn oder in einem Frachtschiff auf dem Pazifik zurück. Ganz so weite Wege beschreiten die Menschen, die mit ihren Buchbildern in Berührung kommen, nicht.

Wobei: Den Inhalt des Buches in diesem außergewöhnlichen Rahmen legen sie selber fest. Zu füllende Seiten eines noch leeren Tagebuchs, Reiseberichte, Gästebücher, Kladden für Ideen, Kindertage- oder Hochzeitsbücher – Emily Paersch hat für ein Buchbild auch schon persönliche Brief- oder Gedichtsammlungen zu einem Kunstwerk gebunden und so in den Wohn- oder Arbeitszimmern ihrer Kunden durchaus neue, kreative Akzente in der persönlichen Raumgestaltung gesetzt.

Jüngst bekam die Ideenwerkstatt Paersch eine dahingehende Anfrage einer Frankfurter Innenarchitektin. Die Künstlerin erzählt auch schmunzelnd von einem mittelständischen Sanitär-Unternehmer, der sich ein solches Buchbild in sein Büro gehängt hat, um kreative Einfälle und Gedanken niederschreiben zu können. Natürlich könnte er das auch auf einem Blatt Papier – doch das geht leicht im Alltagstrott verloren. „Jetzt hat dieses Ideenbuch einen besonderen Platz und eine Bedeutung für diesen Mann“, freut sich die Künstlerin.

Das endgültige Gesicht dieses Kunstwerks gestalten Emily und Andreas Paersch ganz nach Wunsch des Kunden. „Theoretisch wäre auch ein Buch mit den Maßen zwei mal zwei Meter denkbar“, lacht die Künstlerin. Die im Atelier präsentierten Buchbilder sind in der Regel kleiner und nehmen nicht mehr Platz als ein „normales“ Bild von 65 mal 65 Zentimetern ein.

Annäherungen an das gedruckte Wort, die die alten Sehgewohnheiten durchbrechen, das sind die Buchbilder aus der Ideenwerkstatt Paersch – und „ganz nebenbei“ eine faszinierende Hommage an ein Medium, das auch nach 5000 Jahren nichts von seinem Charme verloren hat.

Weitere Informationen zu den Buchbildern gibt es im Internet unter der gleichnamigen Website ( www.buchbilder.de).

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