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Ferien in Göttervaters Kinderstube

Beim Zeus ist das schön hier! Die griechische Kyklade Naxos steht für weit mehr als feinsandige Badestrände im ansonsten von allen Göttern verlassenen Süden der Insel. Vor allem im Landesinneren erwarten den Besucher verwunschene Orte, malerische Dörfer und zur richtigen Jahreszeit das, worauf der Deutsche seit 20 Jahren wartet: blühende Landschaften.

Naxos – eigentlich nur eine von vielen Kykladen, ist sie für viele doch eine der schönsten. Direkt gegenüber von Paros liegt sie als größtes Eiland mit ihren alpenähnlichen Gebirgsmassiven und phantastischen Stränden fast in der Mitte der ägäischen Inselgruppe. Hier soll Göttervater Zeus seine Kindheit und Jugend verbracht und den Weingott Dionysos gezeugt haben. Nach Zeus ist auch der höchste Berg der Insel – und mit 1000 Metern auch höchster Gipfel der Kykladen überhaupt –, der Zas benannt.

Doch nicht nur in den Mythen ist auf Naxos viel los, wenn auch weit weniger als auf der Jetset-Insel Mykonos oder dem weitaus touristischer geprägten Santoríni. Besonders in den Sommermonaten ist Naxos beliebtes Ferienziel für Gäste aus aller Welt und für die Griechen vom Festland gleichermaßen. Weswegen es sich empfiehlt, die Insel im Wonnemonat Mai zu erkunden; dann erblühen die fruchtbaren Uferebenen, leuchtet das Gelb des Ginsters zwischen silbrig grünen Olivenhainen, lädt das Meer bereits zu einem erfrischend kühlen Bad ein und die Sonne brennt noch nicht so unbarmherzig vom Himmel. Unterkünfte sind ohne weiteres zu haben und die Preise kommen erst langsam aus dem Keller.

Bevor man die Insel betritt, muss man aber erstmal dorthin kommen: Unromantisch, aber schnell geht es sommers mit dem Flugzeug. Ansonsten bleibt nur die Überfahrt mit der Fähre – entweder per Speedboat in knapp drei oder auf großen Linienschiffen in etwas mehr als fünf Stunden. In der Hauptsaison fahren die Boote fast stündlich, in der Nebensaison nur zwei Mal am Tag. Ein Erlebnis ist die Ausfahrt aus dem Hafen von Piräus aber allemal: Wie auf einer Perlenschnur aufgereiht ziehen die stählernen weißen Leiber der modernen Kreuzer aufs offene ägäische Meer hinaus und zurück in der vor Schmutz starrenden Hafenstadt bleiben nur Stress und Hektik.

Nach einem Zwischenstopp auf Paros nähert sich die Fähre schnell der Westküste von Naxos: 32 Kilometer ist die Insel lang, 23 Kilometer breit; hier leben etwa 14.000 Einwohner. Der flache Westen bietet ausgedehnte Sandstrände, während die Bergzüge zur Ostküste wild und steil abfallen. Wichtigster Ort ist Naxos-Stadt, dessen Architektur deutlich venezianische Züge aufweist.

In den verwinkelten Gässchen und Treppen unterhalb des burgähnlichen Kástro, den schattig überwölbten Passagen mit vielen Läden und verwitterten Türstürzen aus Marmor mit alten Wappen einstiger Herrschersippen kann man zwischen vielen Souvenirs und Schnickschnack made in China auch wunderschöne Schmuckgeschäfte entdecken und lohnenswerte Andenken erstehen. Zum Beispiel bei der hierher ausgewanderten Deutschen Diana Brechtken, die ihre kunsthandwerkliche Fertigkeit vor Ort eine Saison lang ausprobierte, vom Erfolg beflügelt ihre Zelte in der alten Heimat komplett abbrach und sich seither auf Naxos zuhause fühlt.

Auch die Geschichte ist hier allgegenwärtig: Auf einer Halbinsel nördlich vom Hafen steht seit gut 2500 Jahren das gewaltige Tempeltor Pórtara mit sieben Metern Höhe und fünf Metern Breite als Überbleibsel einer einst dem Apollon geweihten Anlage. Später wurde aus dem unvollendeten Bau eine christliche Kirche und noch später ein Steinbruch für das venezianische Kástro.

Naxos bietet mit seinen teils dünenbewehrten Stränden beste Möglichkeiten für einen Badeurlaub. Noch mehr auf seine Kosten kommt jedoch derjenige, der die Ursprünglichkeit der Insel sucht. Da ist der gut zu besteigende Berg Zas oder die etwas schwerer zugängliche Höhle des Zeus mit grandiosen Ausblicken. Mitten im Inselinneren stößt man auf das majestätische Kloster Fotodótis, die verfallene altehrwürdige Kreuzkuppelkirche Ágios Mámas, die beeindruckende Demeter-Tempelanlage, die massiv-trutzigen venezianischen Wohntürme oder das verwunschen wirkende und eingefallene Kloster Kalamítsia.

Immer wieder beeindrucken große Steinbrüche für Marmor und natürlich die rostigen Drahtseilbahnen mit den löchrigen, teils noch immer gefüllten Loren, die daran erinnern, dass Naxos um 1920 mit dem Export von Schmirgelgestein bis zu 80 Prozent des griechischen Staatshaushalts finanzierte! Der synthetischen Herstellung zum Opfer gefallen lässt sich die Bedeutung des Schmirgelabbaus vor Ort auf dem Weg in das an der Ostküste gelegene Städtchen Lionas in einer restaurierten Seilbahnstation nur noch erahnen.

Etwas, wofür Naxos ebenfalls berühmt ist, sind die Koúroi von Flerió, Pótamia und Apóllonas – drei riesenhafte, jedoch unvollendete monolithische Kolossal-Statuen aus archaischer Zeit. Zwischen fast fünf und an die elf Meter messen die Koúroi, von denen die Forschung annimmt, sie seien schon während der Herstellung oder auf dem Transport in Heiligtümer der Götter Apollon und Dionysos zerbrochen. Wie fast alle Sehenswürdigkeiten der Insel sind auch diese Stätten gut ausgeschildert und meist bequem zu erreichen.

Wer lange Strecken gewandert ist oder sich in die Fluten der Ägäis gestürzt hat, ist sicherlich hungrig, wobei das gastronomische Angebot natürlich vor allem dem Liebhaber von Fischgerichten diverse Leckereien bietet. Generell sollte man – vor allem in Naxos-Stadt – die bestens frequentierten Restaurants an der Uferpromenade meiden und für ein paar Euro mehr in der Innenstadt einkehren. Die Speisekarten ähneln sich meist, weswegen ein genauerer Blick oder Nachfragen lohnt. Gleiches gilt für die Zentren der Tragéa-Hochebene Chalkí und Filóti oder den Fischerort Apóllonas.

Dass Dionysos auf Naxos wilde Orgien gefeiert haben soll, darf getrost dem Reich der Mythen zugeordnet werden: Auch wenn der griechische Weißwein abseits des geharzten Rétsinas von herausragender Qualität ist – der auf Naxos gekelterte Rebensaft hat mit seinem bernsteinfarbenen Ton eher den Geschmack von Sherry und erinnert im Abgang an einen sommerlichen Weißherbst, den man 20 Jahre zu spät dekantiert hat. Zum Essen sei daher tatsächlich der Exportschlager Retsina empfohlen, der hier wohlige Erinnerungen an den heimischen „Griechen“ weckt und sogar noch einen Tick besser schmeckt.

Ein Urlaub auf Naxos – und der Koffer ist prall gefüllt mit schönen Erinnerungen. Zum Beispiel an die Freundlichkeit der Insulaner! Da war dieser hilfsbereite Taxifahrer, der, als man ihn nach dem Weg zur Autovermietung fragte, ausstieg und sich selber für einen bei der Konkurrenz schlau machte; oder der Verkäufer im Supermarkt, der am allerersten Tag, als man zu wenig Euro einstecken hatte, lächelnd sagte: „Pay tomorrow…“; und die alten Männer, die einem mit der Zigarette im Mundwinkel stets ein freundliches „Jassas!“ zurufen.

Der atemberaubende Blick von den Bergen, der verträumte Strand, die Landschaften in den schönsten Farben – überhaupt die ganze Insel, die im Mai erst langsam aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht ist und sich mit lockerem Pinselstrich die Augen reibt, um die ersten Gäste zu empfangen! Mit ein bisschen Wehmut betritt man nach zwei Wochen wieder die Fähre Richtung Festland und sieht noch lange den Gipfel des Zas, bis auch er im ägäischen Meer zu versinken scheint – adío Naxos…

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