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Einladung zur nationalen Nabelschau

MAINZ (12. November 2014). Kann man darauf stolz sein, ein Bürger dieses Landes, also Deutscher zu sein? Nicht erst seit der verunglückten Aussage des damaligen CDU-Generalsekretärs Laurenz Meyer im Jahr 2000 diskutiert die Nation über ihr Bewusstsein. Und alle zwei bis vier Jahre schäumt es hoch, wenn die Fahnen wehen und Deutschland auf dem grünen Rasen stattfindet.

Zur Begegnung Deutschland gegen Holland – „Also kein Freundschaftsspiel!“ – haben sich auch Dieter, Bodo und Lutz eingefunden. Seit 1990 schauen sie jedes Länderspiel gemeinsam: Arbeitstier Dieter, Bodo als reicher Erbe und Leistungsverweigerer Lutz. Zu diesem Querschnitt durch die Gesellschaft gesellt sich Bodos Freundin Solveig, die eine Dokumentation drehen will: Welche Auswirkung hat der WM-Sieg auf die deutsche Psyche?

Soweit die Rahmenhandlung der neuen Produktion des „Düsseldorfer Kom(m)ödchens“, die erst Ende Oktober Premiere feierte und jetzt im Unterhaus ihr Debüt gab. Mit dabei: vier Vollblutmimen, die einfach grandios spielen und harmonieren: Martin Maier-Bode (Dieter), Heiko Seidel (Bodo), Daniel Graf (Lutz) und Maike Kühl (Solveig). Das Buch schrieb neben Maier-Bode Dietmar Jacobs mit Christian Ehring. Im Stück heißt es an einer Stelle von Bodo, er habe goldene Hände – das trifft nicht nur auf die Darsteller, sondern auch auf die Autoren (und alle an dieser Produktion Beteiligten) zu. Nach „Couch“, „Sushi“ und „Freaks“ jetzt also „Deutschland gucken“: So sehen Steigerungen aus.

Das Stück stellt Fragen, verweigert aber klugerweise die Antworten – schließlich gibt es bei rund 80 Millionen Deutschen keinen typischen. Mit Bildern und Klischees aber spielt das Quartett brillant: mal offensiv, mal mit Flanke, über Bande oder munter gekontert. Das Skript ist das eine, kabarettistische Einwürfe zu aktuellen Themen sind das andere.

Eigentlich wollen die Freunde nur Fußball gucken, aber jetzt kriegt man sich in die Wolle: über Deutschland, Heimat, Leistungs- und Optimierungsdruck, Konkurrenzkampf und Globalisierung. Statt des erhobenen Zeigefingers gibt es indes die Puppenhand des Integrationskasperls oder aber unter die Haut gehende Bonmots von Maike Kühl: „Wie verzweifelt muss ein Mensch sein, wenn er in ein moralisch so verlottertes Land flieht“, fragt sie mit Blick auf Deutschland, das sich wie die EU nicht an den Kosten Italiens für anlandende Seeflüchtlinge beteiligen will – und ist nicht stolz darauf.

Wo liegen die Probleme eines Deutschen? Ganz elementar wird es bei Dieter: Die billigeren Chinese bedrohen seinen Arbeitsplatz. Da reisen die vier in einem atemberaubenden Roadmovie über Indien bis nach China, wo der Deutsche zwar keine Jobgarantie, aber die Weihen als neuer Dalai Lama erhält.

Ein Mordsspaß ist das auf jeden Fall, dieses Stück „Deutschland gucken“ – und ein intelligenter obendrein. Es regt zum Nachdenken an: Nicht darüber, ob Laurenz Meyer dereinst Recht hatte. Aber wie man sich und sein Land selber sieht und wie andere das vielleicht tun. Insofern ist der Titel des Programms auch Einladung zur eigenen nationalen Nabelschau.

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