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Rollenspiele mit Botschaft

MAINZ (16. April 2014). Ein bisschen ratlos sitzt man da im kleinen Unterhaus: Während ein Stockwerk tiefer Tobias Mann „Verrückt in die Zukunft“ spielt, geht es der Kabarettistin Eva Eiselt am Ende ihres Programms „Neurosen und andere Blumen“ um ein ernstes Thema, das sie laut ins zwanzigköpfige Auditorium schreit. Man solle keine Rollen spielen, sein eigenes Leben leben. Nach rund 90 Minuten Patchwork-Sketchen wirkt diese Küchenphilosophie nicht unbedingt fehl am Platz, aber doch ein wenig gezwungen.

Dabei fängt der Abend durchaus vielversprechend an: Statt Eiselt pur gibt es eben Rollenspiele, anfangs mit einer Mitarbeiterin vom Ordnungsamt, die den Saal zu checken hat. Hierzu setzt sie technisches Equipment ein, das alles kann: „Nur telefonieren nicht, das Wähldings habe ich irgendwie weggedrückt.“ Dafür ist ein Schwangerschaftstest drin: „Ein paar Tröpfchen Urin aufs Display und Du weiß sogar, wer der Vater ist.“

Der Fortschrittswahn der modernen Technik wird es im Verlauf des Abends noch kräftig abbekommen: Gespickt mit Anglizismen stellt Eiselt das „Real book“ vor. Scrollen kann man hier nur durch Blättern und die Software ist der Kuli, mit dem man immerhin Type und Schriftgröße selbst bestimmen kann. Gerade in der Gutenbergstadt Mainz passt das Statement für das gedruckte Wort anstelle virtueller Literatur natürlich bestens.

Und auch der Rentner, der durch verschütteten Kaffee und wirres Trockenrubbeln der Tastatur versehentlich das Online-Banking der Europäischen Zentralbank aktiviert und sich munter ein paar Milliarden für den geplanten Swimming-Pool überweist, ist eine gelungene Figur. Ein bisschen wie der legendäre Adolf Tegtmeier des Jürgen von Manger sinniert Eiselt hier über Segen und Fluch der Technik, Senioren und Sensoren.

Leider haben nicht alle Figuren des Abends die Qualität der Merkel-Parodie, der das Publikum am „Tag der offenen Kanzlerin“ beim Regieren und Aussitzen zuschauen kann, den Unterschied aber kaum merkt: Da die Künstlerin laut ihrer Assistentin Sigrid sturzbesoffen hinter der Bühne liegt, schmeißt diese nun einen Großteil des Programms. Das mehr schlechte als rechte Schwäbeln aber stört das Spiel eher, als dass es ihm nützt.

Dann schon lieber die grandiose Szene einer Vernissage, in der das Publikum selbst zum Bild wird und Eiselt als Kunstkennerin vor allem von den auf zahlreichen Kunstveranstaltungen gereichten Häppchen schwärmt: Plötzlich wird der Betrachter zum Betrachteten wie Kommentierten. Und dann eben noch die Kanzlerin, die den WM-Taumel nutzen will, um unbemerkt die Atommeiler wieder hochzufahren: Eva Eiselt hat zweifelsohne Potenzial; ihren „Neurosen-Strauch“ aber sollte sie noch ein bisschen stutzen, ein paar stechende Dornen entfernen und dieses Bukett mit einem leuchtend roten Faden fester binden. Das wird man sich dann noch lieber ins Dachstübchen stellen.

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