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Über’m Tellerrand zieht’s

MAINZ – „Mein lieber Scholli!“ Diese drei ersten Worte umreißen letztendlich den Horizont des Heinz Becker, der als Alter Ego des Kabarettisten Gerd Dudenhöffer und „Kosmopolit“ im gleichnamigen aktuellen Programm im Unterhaus Station macht. Und sie sind gleichzeitig der Dosenöffner von Pandoras Büchse, aus der fortan die Detonation der Dumpfheit erklingt, um die Lufthoheit über den Stammtischen zu verteidigen.

Treffend wird die aktuelle Wirtschaftskrise kommentiert, wobei Heinz von „dene Hilfspakete“ wenig hält: „Wenn einer aus dem Flugzeug fällt, kannst Du ihm so viele Fallschirme nachwerfen, wie Du willst…“ Das Kreisen um Vereinsmeierei, biologische Landwirtschaft und die große Politik liefern letztendlich tiefe Einblicke: „Wenn der Mensch so weitermacht, richtet er die Welt zugrunde – aber als Nichtraucher.“

Dudenhöffer ist ein Meister seines Fachs und versteht es, mit seinem Publikum zu spielen. Seine enthüllenden Wortverdreher, mit denen sich der Biedermann im Gestrüpp der Fremdwörter verheddert, sorgen für ein wohliges Glucksen im Publikum. Und wenn der Becker-Heinz über seine Frau „’s Hilde“ schwadroniert und ganz nebenbei die Frauenfeindlichkeit zur Kunstform erhebt, ist das Lachen aus den Kehlen beiderlei Geschlechts überraschend herzlich.

Dazwischen versteckt Dudenhöffer staubtrocken seine kleinbürgerlichen Gemeinheiten wie geistige Tretminen. Beim Thema Sextourismus eiert Heinz peinlich berührt um den Intimbereich herum, bevor er zum beherzten Tritt in die geistigen Weichteile ausholt: „Zu uns kommen die Ausländer und machen sich an den deutschen Frauen zu schaffen – ohne dafür zu zahlen.“

Und plötzlich ist es schlagartig still im Saal: „Wir bräuchten mal wieder einen, der – für Ordnung sorgt“, ätzen sich die Sätze mit bedeutungsschwangeren Pausen durch die Atmosphäre: „Wie Führer, äh, früher. Man müsste halt das Beste von damals – also die Menschenrechte denen geben, denen sie gehören; und für die anderen eben anpassen.“ Brillant spielt Dudenhöffer hier mit dem Feuer, überschreitet bewusst Grenzen und reißt das Steuer herum, bevor die Stimmung kippt: „Ich kannte mal einen, der nannte seinen Schäferhund Bedolf.“

Mit der schonungslosen Schwärze seines Humors zeichnet der Saarländer mit schroffem Strich des muffigen Spießers fest zementiertes Weltbild, das wanken mag, aber in seinen Grundfesten wohl kaum zu erschüttern ist. Und somit deckt Dudenhöffer auf, welche Macht das Vorurteil hat: „Wer gegen den Strom schwimmt, wird auch nass“, rät der Becker-Heinz seinem Sohn väterlich.

Die schallenden Ohrfeigen, die Dudenhöffer hier verteilt, tun weh und die Kunstfigur des Heinz Becker ist derart plastisch, dass man sich am Ende schütteln möchte. Wenn aber diese allergische Reaktion gegenüber unbegründeten Ressentiments nicht abklingt, hat (dieses) Kabarett sein Ziel erreicht.

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