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Bedrückendes Amüsement

MAINZ – Ist dieser Saal nicht ein bisschen groß? Gemessen an den verkauften Karten wohl kaum: Hagen Rether spricht mittlerweile ein so großes Publikum an, dass Unterhaus oder Frankfurter Hof längst nicht mehr ausreichen. Und das, was dieser Kabarettist zu sagen hat, ist von einer solch gültigen Aktualität, dass es möglichst viele hören sollten – auch wenn dies auf Kosten der intimen Stimmung einer kleinen Bühne geht.

Auch in der Phönixhalle räkelt sich Rether im Bürostuhl am Flügel, der diesmal jedoch nur selten zum Einsatz kommt. Dafür putzt ihn der Kabarettist ausgiebig: „Wenn man so wie ich viel alleine unterwegs ist, entwickelt man so manchen Zwang.“

Ein solcher dürfte es für den Essener auch sein, genau und vor allem ein bisschen genauer hinzuhören, wenn es im Räderwerk des politischen Alltags mal wieder knirscht. Doch dem Öl der Berliner Protagonisten, die dies übertünchen wollen, streut Rether noch mehr Sand entgegen und holt Verdecktes und so oft schon wieder Vergessenes gnadenlos ans Licht. Seine Rolle als Mahner kleidet er dabei in eine nonchalanten Gelassenheit, die einen manch bittere Wahrheit schlucken lässt wie einst den Würfelzucker mit den Hustentropfen.

„Na, wie geht’s?“; beginnt die Vorstellung: „Gut? Also ham’se noch Arbeit?“ Und abgeklärt werden Rethers Erreger der öffentlichen Ärgernisse zur Brust genommen: Westerwelle, der sich „wie ein Konfirmand freut, endlich Außenminister spielen zu dürfen“, Merkels „learning by doing“ und die SPD: „Schröder – alles leergesoffen, uns auf den Teppich gekotzt und jetzt Aufsichtsrat in Russland.“ Rether gebraucht deutliche Worte und man hört, dass es in ihm brodelt, auch wenn er äußerlich cool bleibt: „Was rege ich mich eigentlich auf?“, fragt er resigniert ins Publikum.

Themen, um sich dennoch nobel zu echauffieren findet er zum Glück genug: Politische Widersprüche und natürlich die katholische Kirche. „Nur wer hinter Panzerglas sitzt, werfe den ersten Stein“, bremst Rether das Papamobil aus. Dem heiligen Fahrgast wird ein Tourette-Syndrom unterstellt, wenn es gegen andere Religionen geht und Bischof Mixa rät er: „Der soll mal arbeiten gehen – meinetwegen Kabarett machen…“

Wie gewohnt nimmt sich Rether Zeit für seine Aufklärung – gut drei Stunden. Langweilig wird es nie, denn dieser brillante Analyst entblößt nicht nur die Sprechblasen aus Politik und Wirtschaft, sondern geht auch mit seinen Gästen ins Gericht: „Ohne unsere Gier hätte die Gier der Banker gar nicht funktioniert.“ Und als überzeugter Vegetarier nutzt er seine Position, um Ernährungsgewohnheiten zu hinterfragen: „Für ein Kilo Rindfleisch werden 14.000 Liter Trinkwasser verbraucht…“

Irgendwann erstickt er das Lachen wie mit einem nassen Handtuch: „Es geht mir auf den Geist – denn dahinter steckt doch nur Angst.“ Im zweiten Teil seines Programms gibt es denn auch weit weniger zu schmunzeln – dafür eine peinliche Nabelschau über die Volkskrankheit, sich belügen und mit medial „hochgejazzten Themen“ ablenken zu lassen.

Plattes Amüsement ist mit Hagen Rether eben nicht drin. Und auch, wenn er immer wieder ein launiges Ventil aufdreht, geht man doch um einiges nachdenklicher nach Hause als bei vielen seiner Kollegen.

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