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Geistiger Ohrenschmaus

MAINZ – Als die Kabarettisten Henning Venske und Jochen Busse, beides erfahrene Lach- und Schieß-Gesellschafter, vor zwei Jahren ihr erstes gemeinsames Programm „Legende trifft Urgestein“ präsentierten, schien es, als öffneten sie einen alten, aber noch immer herausragenden Wein: vollmundig, reich an Aromen, mit Nachhall und pfeffriger Note – kurz: ein Ohrenschmaus für den Geist, zumal das scharfzüngige Nummernkabarett am Akkordeon von Frank Grischek untermalt wurde.

Und nun: das zweite Programm! „Inventur“ heißt es und spielt im Wartezimmer, wo die Herren Venske und Busse die Zeichen der Zeit auf Herz und Nieren prüfen. Der heutige Agrarstaat Deutschland erlebte nach dem Krieg nicht den Marshall-, sondern doch den Morgentau-Plan: „Alle halten sich für die Melkkuh der Nation“, zetert Jochen Busse. Keiner kann sich so schön künstlich aufregen und bewahrt dabei kantige Contenance wie er.

Henning Venske hingegen wirkt abgeklärt und desillusioniert, wodurch sich die beiden Kämpen die Bälle elegant zuspielen können. Schwarz-gelb findet Venske gut: „Das neoliberale Pack, das uns in die Krise geführt hat, kennt wohl auch den Notausgang.“ Und Westerwellle? Der bezeichnete sich doch selbst im Wahlkampf als „Freiheitsstatue der Republik“: „Dieses transsexuelle Fielmann-Model mit dem Charme einer feuchten Puderquaste“, giftet Venske. Wer derart schrill in den Wald hineinruft, braucht sich über das Bühnenecho nicht zu wundern, schwärmt Busse: „Da lacht mein Kabarettistenherz!“ Und nicht nur seines.

„Inventur“ ist eine pikante und vor allem intelligente Mixtur aus gekonnt plattem Witz und bissiger Spitze, die zuweilen die Wucht einer schallenden Ohrfeige hat: Busse plädiert für die Organspende-Pflicht für Hartz IV-Empfänger („Ein Arm reicht doch, um die Pulle anzusetzen…“). Doch in dem Moment, wo man den galligen Humor nicht mehr schlucken mag, kommt Venske versöhnlich aus dem Hinterhalt: „Ich wünsche mir nur ein bestimmtes Organ – neuwertig, originalverpackt und unbenutzt. Leider gehört es dem Papst.“

Exzellent ist auch die Nummer mit dem Expertentum, sei es nun die Liveschaltung zum Terrornest im Emsland („Es wird hier im nächsten Jahr einen 11. September geben.“) oder die Statements zur Reaktorsicherheit der schwedischen Brüter Marke „Røms-Bøms“: „Die Grundstücke rund um Vattenfall-Anlagen sind preiswert und bestens geeignet für Senioren: Aufgrund der erhöhten Leukämiefälle gibt es da praktisch keinen Kinderlärm.“ So schmeckt Galgenhumor…

Und dann ist da dieser geistvolle Ausflug in die Demokratie. Während sich Busse gentechnisch generiertes Material zum Rekrutieren des politischen Personals wünscht, stellt Venske fest, dass sich Souveränität nicht vertreten lasse. Und kein Mitglied der änderungsresistenten Parteien würde daran mitwirken, sich überflüssig zu machen: „Kabarettisten übrigens genauso wenig“, gibt Busse zu.

Weit mehr als akustischer Lückenbüßer ist einmal mehr Frank Grischek, den die beiden als ehemaligen Investment-Banker „für ein Abendbrot und ein kleines Glas Bier“ beschäftigen. Immer wieder Zielscheibe der beiden Granden findet er den Ausgleich in der Musik und begeistert am Akkordeon durch Virtuosität und Finesse. Somit erhält diese „Inventur“ eine weitere, klangschillernde Dimension.

Etwas bang mag man sich fragen, wie viele derart hochwertige Programme dieses dynamische Duo noch verfassen wird? Schließlich murmeln sie in ihren monologisierenden Wartezimmerdialogen à la „Irgendwas is’ immer“ schon gefährlich debile Sätze wie „Wenn das Ei erst mal hart ist, kriegst Du es nie wieder weich…“. Doch keine Angst, denn auf Busses Frage „Wie lange wollen Sie das noch machen?“ antwortet Venske optimistisch: „Ich warte darauf, dass die UNO den Vatikan dicht macht.“

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