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Die innere Logik des Wahnsinns

MAINZ (27. November 2022). „Was redet der da eigentlich die ganze Zeit?“ Diese Frage kann sich der, der Horst Evers noch nicht kennt, anfangs durchaus stellen. Und ist damit nicht allein: Der Künstler selbst horcht so zuweilen in sich hinein. Und fragt sich außerdem: Würde er, begegnete er sich selbst auf einer Party, später mit sich nach Hause gehen? Keine Angst: In Evers schlummert keine gespaltene Persönlichkeit. Und doch vermag er die Welt und damit auch sich selbst aus einer bestechenden Distanz zu sehen.

Aus diesem Quell sprudeln seine Geschichten, die er aktuell im Programm „Ich bin keiner, der sich an die große Glocke hängt“ verpackt hat. Dabei dürfte er das gerne tun: Gute Beobachter und Erzähler gib es so manche auf den Kleinkunstbühnen der Republik, doch so pointiert, selbstironisch und dabei urkomisch gelingt es nur wenigen, den Irrsinn des Alltags zu illustrieren. Was bei Evers auch an seinem ruhigen Naturell liegt: Die laute Geste hat er nicht nötig, sondern schätzt einen ruhigen Duktus. Ihm hört man gerne zu, auch wenn – und vor allem: weil! – er in seinen Geschichten gekonnt auf Abwege gerät, die den Strang dann in eine gänzlich andere Richtung führen.

Dabei ist Evers immer auf der Jagd nach der inneren Logik. Die sieht er auch im noch so nebensächlich Erscheinenden zwingend vorhanden und kreist sie wortreich ein. Da ist die Sache mit den Übergewinnen, die doch bitteschön versteuert gehörten, wenn es sie denn gäbe, denn allein der Begriff ist sinnfrei: Es gibt Gewinne und mehr Gewinne, auch viele Gewinne – doch Übergewinne? Die Einigung auf den ebenso phantasievollen, doch treffenderen Begriff der Zufallsgewinne bringt Evers auf eine Idee: Er wäre sofort bereit, wenn ihm jemand beim Abschöpfen seines Zufallsgewichts helfen könnte.

Ob Marzipantorte in Travemünde, das Erfolgserlebnis, wenn ein Bus kommt und man ihn dann nicht nimmt (für Evers die Definition des Begriffs Freiheit), technischer Fortschritt (der jedoch nicht den Anwender miteinbezieht) oder ein mysteriöses Geräusch in der Küche, das die ganze Familie in Aufruhr versetzt und sich dann als das selten gewordene Klingeln des Festnetzanschlusses herausstellt: Horst Evers erzählt seine absurden Geschichten nicht nur so, als stünde man direkt daneben, sondern als könnten sie sich auch genau so abgespielt haben.

Mit dieser genauen Beobachtungsgabe ähnelt er kongenial Loriot: Unterhält sich da beispielsweise ein Paar, ob es theoretisch möglich wäre, dass ein Trompeter auch mal in eine Geige blasen könnte, geht es in Evers Geschichten um Telekom-Passwörter, Gesichtserkennung bei Smartphones, telefonische Meinungsumfragen oder soziale Medien (die durch einen falsch verschickten Einkaufszettel die Nachfrage des noch zu schreibenden Bestsellers „Möhren und Zucchini – wenn möglich bio“ befeuern), korpulente Balletttänzer oder den Eheretter Musik.

Dem Autor gelingen stets atemberaubende Zirkelschlüsse, mit denen er nicht zuletzt sich selbst verblüfft. Durch diesen Kniff schlägt er sich auf die Seite des Publikums und schafft eine wohlige Nähe. „Alle anderen erleben mehr als ich“, kommentiert Evers den außerehelichen Kindersegen eines verheirateten früheren Schulfreundes. Seine Geschichten belegen das Gegenteil.

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