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Das Epikzentrum der Kleinkunst

MAINZ (13. September 2012). „Malmsheimer!“, postuliert Urban Priol in der ZDF-Satire-Sendung „Neues aus der Anstalt“ lautstark, wenn Not am Mann und ein weiteres klares Wort geboten ist.

Dann kommt er geeilt: Hausmeister Jochen Malmsheimer, grau bekittelt und mit einem ganzen Sammelsurium aus Wörtern und Worten, Silben, Satzzeichen, Konsonanten, Vokalen sowie Umlauten: Was dieser Pedell der hehren Rede dort wie auch auf der Solobühne an Ideen zusammendengelt, in Sprache fasst und Verse schmiedet, mit Gedankenstrichen besetzt und Ausrufezeichen vernietet, das sucht in der Kabarettszene seinesgleichen und selbst der kleinste Einfall hebt zum wohlformulierten Gedankenflug ab.

Nun hat dieser Künstler und Handwerker, der mit klingendem Bassbariton seine geistvollen Späße nicht nur rezitiert, sondern lebendig spielt wie auf großer Bühne, ein neues Programm ersonnen, dessen Titel erst mal wieder ein Buch mit sieben Siegeln aufblättert: „Ermpftschnuggn trødå! – hinterm Staunen kauert die Frappanz“ lässt zwar alle Fragen offen, doch anders als im Brecht-Zitat hebt es den Vorhang auf der Unterhausbühne weit für das Epikzentrum der Kleinkunst: Malmsheimer!

Der begibt sich mit seinem Auditorium ins Neandertal („Ermpftschnuggn!“), wo die Missverständnisse ihren Ursprung haben und seither die Geschicke der Menschheit bestimmen. Und weil diese Erkenntnis allumfassend ist, herrscht Malmsheimers Sprachgewalt universal: von der Wiege („Kinder sind Fragen, die sich noch in die Hose machen.“) bis zur Bahre der Best-Ager, über Wombats und Buchenlaminat, Körperbehaarung und Plattentektonik im Bauchbereich bis zu Bielefeld und dem Kartoffelbovist. Politikerschelte ist seine Sache nicht, denn er hat keine Lust, sich mit Minderbemittelten abzugeben; die wie das Florett geführte zeitgeistige Anmerkung, die in seiner Hand zum Säbel wird, liegt ihm dennoch: „NPD-Mitglieder sollten für das, wofür sie stehen, sitzen – meinetwegen gerne tausend Jahre lang.“

Hanns Dieter Hüsch predigte von der Kanzel, Malmsheimer bleibt auf der Bühne; doch ins Gewissen reden kann er nicht minder überzeugend und hat für sich den Psalm entdeckt: Gebannt lauscht man der Ode an die Hose, die er mahnt, bei der männlichen Adoleszenz nicht mehr in den Kniekehlen zu hängen. Grandios ist sein Rüffel in Richtung der „Glücksspiel-Krimi-Talkshow-Melasse“: Wenn er dem Fernsehen die Leviten liest, möchte man niederknien, denn Inhalt und Form gehen bei Jochen Malmsheimer stets eng umschlungen; Diktion und Atemtechnik lassen ihn seine Tiraden bis zum letzten Sauerstoffatom führen, wodurch prickelnd Spannung erzeugt wird, die sich im befreienden Gelächter des Publikums bewundernd entlädt.

Der zweite Part des hochintelligenten Abends widmet sich traditionell einer einzigen Nummer, diesmal ist es die Generalversammlung der Wörter im Keller der Mannheimer Duden-Redaktion und ihre Ängste: vor Überfremdung durch Eindeutschung, den Folgen mangelnder Silbenpflege wie Wortfäule und Satzzerfall, Rechtschreibreform und Verarmung der Sprache. Hier spiegelt Malmsheimer den Germanen in seinem Idiom und schließt mitreißend: „Toleranz wird großgeschrieben – nicht nur als Subjektiv!“

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