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Mit dem Finger von der Taste in die Wunde

MAINZ (18. April 2012). Volker Pispers hat ja Recht: Wenn man einen Kabarettisten noch nicht kennt, vor allem einen jüngeren, dann sollte man hingehen. Meist lohnt es sich, nur selten nicht; zuweilen erlebt man auch sein blaues Wunder – und zwar durchaus im positiven Sinne: Martin Zingsheim zu Gast im Unterhaus? Jung, Debütant auf der Mainzer Bühne, Kleinkunst in Wort und Musik? Also hingehen – und sich königlich amüsieren!

Denn Zingsheim schlägt in seinem Programm „Opus Meins – Kabarett und Zukunftsmusik“ markante Akkorde an, die mit Harmonie und Dissonanz stets den richtigen Ton treffen. Statt eine kabarettistische Sonate mit Hauptthema und Durchführung zu spielen intoniert der smarte Kölner gleichsam einzelne Melodien und formuliert seine Kommentare auf ansprechend hinterhältige Art.

Ein Gedicht zur FDP ist ohne Worte, ihm fällt auf, dass sich Grass mit „ss“ schreibt, bewundert Claudia Roth für ihre „Sechseinhalb-Kilo-Brosche“, beneidet Guido Westerwelle um seine gesunde Lebensweise („Er macht keine Fallschirmsprünge“) und erzählt von einem Billigflug nach St. Petersburg: „Mein Opa musste das alles zu Fuß machen – wurde aber durch den längeren Aufenthalt entschädigt.“ Der Stift des Rezensenten glüht, möchte man doch möglichst viele dieser Bonmots mitschreiben; dann aber läuft man Gefahr, prasselnde Pointen zu verpassen – Multitasking im Halbdunkel des kleinen Unterhauses.

Der Pianist vereint Elemente von gesetzten Kollegen wie Hagen Rether und Rainald Grebe, die er dann auch prompt gelungen parodiert – keine Nachahmung, sondern eigene Klasse. Rethers Programm heißt „Liebe“ – ein Gefühl, das Martin Zingsheim anschaulich erklärt: „Eine intakte Beziehung ist wie ein funktionierender Staat: Erst Verständnis und Vertrauen, dann Überwachung und Bestrafung.“ Oder gleicht das ganze eher einer Entführung: „Den Partner sozial isolieren und dann in aller Ruhe auf’s Stockholm-Syndrom warten.“

Ob bissig politisch oder wortschöpferisch elegant: Zingsheim jongliert mit Sinn und Sprache wie der Artist mit Bällen. Als Meister des Imperfekts treibt er die Verbflexion zur Perfektion und singt ein Lied aus seiner TAN-Liste für’s Online-Banking – wohlgemerkt letztmalig: „Die Sparkasse Köln-Bonn hat hier die Urheberrechte angemahnt, die haben das zuerst geschrieben“, bereut Zingsheim und zitiert keck den gescheiterten Freiherrn.

Doch er kann auch anders als lustig: Sein Lied zur WM in Südafrika plätschert zuerst munter dahin, bis er anfängt die zahllosen Menschenrechtsverletzungen vor Ort aufzuzählen; vom Publikum zuvor genannte Staaten wie Burkina Faso, Togo, Namibia oder Uganda – alle sind dabei und es wird still im Auditorium. Wie Zingsheim die dicke Tünche vom glücklichen Vuvuzela-Spieler abschabt, das geht schon unter die Haut. Ob er da die Kurve kriegt? Na klar: Mit einer Diskussionsrunde darüber – aus Reich-Ranicki, Rubenbauer, Mozart und Klaus Kinski! Einfach grandios vielseitig, der Mann!

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