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Leben und leben lassen

MAINZ (26. November 2019). Kabarettisten haben ein klar umrissenes Anliegen: Sie wollen unterhaltsam zum Nachdenken anregen oder nachdenklich unterhalten. Matthias Ningel ist Liedermacher und Humorist, arbeitet mit seinem dritten Bühnenprogramm „Kann man davon leben?“ also stilistisch von zwei Seiten, um der Aufgabe seines Berufsstands gerecht zu werden.

Die Frage wird gleich zu Beginn mehrfach beantwortet: Zum einen ist der Auftritt im kleinen Unterhaus gut besucht, was zumindest an diesem Abend zu Ningels Auskommen beitragen dürfte. Zum anderen beschreibt er einen erfolglosen Performance-Künstler, der aus Verzweiflung ob des ausbleibenden Erfolgs sogar bei der eigenen Oma (ebenfalls ohne Fortune) den Enkeltrick anwendet. Desillusioniert will er aus dem Leben scheiden, da ruft ihm ein Künstlerchor aus Wolfgang Amadeus Mozart, Joseph Beuys, Roy Lichtenstein und anderen zu, dass die Welt nur mit Kunst und Künstlern überleben könne.

Wer braucht hier also wen? Und was ist nötig für ein zufriedenes Leben? Darum dreht sich das Programm Ningels den Abend über. Und an dessen Ende ist man sich sicher: Die Kabarettszene braucht so kreative Köpfe wie diesen jungen Sänger und Pianisten, dessen Kunst an Kollegen wie Rainald Grebe und Bodo Wartke erinnert. Dabei ist es sicher keine Schande, wenn man sich an den Besten orientiert, um seinen eigenen Weg zu finden.

Zum Glück, das wird klar, braucht es nicht viel: erst recht keine Kaffeevollautomaten, die an einen SUV („Teuer, hässlich und viel zu dick.“) erinnern und mehr Pflege und Zuwendung brauchen als ein Neugeborenes. Auch keinen Überfluss an Kleidung und Nahrung. Hier beweist Ningel beste Liedermacherqualitäten und führt Reinhard Meys „Schlacht am kalten Buffet“ mit einem melodiösen Fres(s)ko auf die Unkultur des All-you-can-eat fort: „Wenn Oma früher Kuchen backte, bekam jeder zwei Stück – in der Begrenzung liegt das Glück.“

Klug zeigt Ningel die Unvereinbarkeit der beiden Werbeslogans „Geiz ist geil“ und „Ich bin doch nicht blöd“ sowie weitere Unglücksbringer wie die berufliche Ellbogenmentalität (dokumentiert am In-Produkt Beißschiene), den Hass im Internet oder den Wertverlust des Reisens durch Billigfliegerei. Dazu trägt er mit seinen Erinnerungen an einen Kirmessonntag in der heimischen Eifel auch wunderbar geschliffene Prosa vor und zwar derart plastisch, dass man das Odeur der „Gruppe bronzefarbener Kettenraucherinnen“, die er auf dem Weg zum Festzelt passiert, in der Nase zu spüren glaubt.

„Kann man davon leben?“ ist ein großer Wurf und jeder Euro, den man für Vorstellungen solcher Künstler zahlt, eine echte Investition für sinnvoll verbrachte Lebenszeit. Das vierte Solo hat Matthias Ningel bereits in der Mache, es wird im Unterhaus 2020 seine Premiere feiern. Wer das dritte noch mal sehen möchte, kann dies am 25. April in der Kleinen Kunstbühne in Saulheim tun.

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