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Peinlich genauer Beobachter

MAINZ (14. November 2016). Vielleicht täuscht es ja, doch als das Saallicht an diesem Abend gedimmt wird, scheint das Gemurmel des Publikums schneller zu verebben und knisternder Spannung zu weichen. Auf jeden Fall ist der Applaus, der Gerhard Polt im Unterhaus Sekunden später entgegenbrandet, umso lauter: Hier wird nicht nur begeistert begrüßt – hier wird noch vor dem ersten Schnaufer Respekt gezollt.

Polt ist einer der Grand Seigneurs des deutschen Kabaretts und erhielt 2009 als einer der ersten den damals neu gestifteten Ehrenpreis des Landes Rheinland-Pfalz zum Deutschen Kabarettpreis für das Lebenswerk. Bei Polt besteht es vor allem aus der genauen Beobachtung seiner Mitmenschen, deren Meinungen und Marotten er wie durch hauchdünnes Pauspapier kopiert auf die Bühne schraffiert.

Da ist der Opa, der auf den Enkel Geofrey aufpasst, weil Papa und Mama keine Zeit für den Spross haben. So obliegt dem Großvater die Erziehung vom Bubi. Doch weil der Freistaat Bayern kein vernünftiges Lehrpersonal hat – der junge Geschichtslehrer hat ja keinen Krieg mitgemacht –, bekommt Geofrey eben vom Opa (dessen Vorbilder Winnetou und U-Boot-Kapitän Günther Prien waren) ein entsprechendes Menschenbild geformt: „Aus dem Bubi mache ich einen lupenreinen Demokraten.“ Und um das Asylantenheim um die Ecke macht sich Opa keine Sorgen, auch wenn der Knabe mit seinen Freunden gerade „irgendwas bastelt“.

Die Jugend ist es auch der grantelnden Alten, die im Falsett über Erziehung, Helmpflicht und Wunderkinder („…sagt jeder Musiklehrer, der wo am verhungern ist…“) schwadroniert, ein Dorn im Auge. Doch wie viel Funken Wahrheit erhellen die Dunkelheit ihrer Argumentation? So sehr man sich auch bemüht – ganz kann man sich doch nie von einem gewissen Vorurteilsvermögen freisprechen. Und genau das ist Polts Geniestreich, wenn der Humor wegen dieses punktgenau getroffenen Nervs immer auch ein bisschen weh tut.

Natürlich sind es die krachledernen Charaktere, die so erheitern: Da erinnert sich jemand an die bierselige 125-Jahr-Feier der Freiwilligen Feuerwehr Hausen, die nur die Berichterstattung der lokalen Medien trüben konnte. Auch hier also: Lügenpresse. Ein anderer mosert über den Nachbarn, der sein monatliches Grillkontingent deutlich überschreitet, was die Drohnen-Überwachung eindeutig beweist. Und man erlebt den Pleitier, der seinem Gegenüber trotz erklärter Geringschätzung als Depp dank Bonität das Menschsein nicht ganz absprechen mag. Nicht alles im aktuellen Solo ist neu, doch Polts Nummern sind wie die von Loriot für die Ewigkeit.

Der Gipfel ist erreicht, als Polt einen Landrat gibt, der in Kooperation mit Pfarrer und Sparkassen-Direktor seine Herde Schaf für Schaf ins Trockene bringt – natürlich auch dank der angestellten Ehefrau. „Fast wia im richtigen Leben“, der Titel Polts genialer Sketch-Serie, die zwischen 1979 und 1988 im Fernsehen zu sehen war, bekommt hier eine fast schon gruselige Brisanz. Das Lachen, das Polt mit seinen messerscharfen Bildern provoziert, ist weit mehr als spöttisches Amüsement: Es ist vor allem Protest gegen den Biedermann, der eigentlich auch gerne Brandstifter wäre.

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