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Immer herrlich, immer Augenweide!

KÖLN (15. Februar 2021). Fastnacht, Fasching, Karneval – noch viel unterschiedlicher als die regionale Bezeichnung ist das Niveau, mit dem die „fünfte Jahreszeit“ gefeiert wird: Mal kommt sie als ausgelassener Straßentrubel daher, mal klamaukig und in Mainz gibt sie sich einen literarisch-politischen Anstrich. Wie krachend man an diesem hohen Anspruch auch scheitern kann, zeigte die diesjährige Ausgabe von „Mainz bleibt Mainz“, die der SWR am Fastnachtsfreitag Corona bedingt als Aufzeichnung sendete. Dass es viel, viel besser weil ungleich subtiler geht, kann man Jahr für Jahr in der Stunksitzung aus Köln erleben – auch in der Pandemie-Session 2021.

1984 stand neben anderen der großartige Jürgen Becker Pate, so dass dabei natürlich etwas Wunderbares herauskam: Kölner Studenten gründeten dieses Kleinod anarchistischer Unterhaltung aus einem Kindertheater heraus. Becker war zwölf Jahre lang Sitzungspräsident, auf ihn folgte Rainer Rübhausen, seit 1999 steht Biggi Wanninger der Sitzung vor. Hier wird kein Blatt vor den Mund genommen, hier wird sich munter auf die (katholische) Kirche, auf den konventionellen Karneval sowie Politik, Sport und Gesellschaft eingeschossen. Unvergessen bleibt die Nummer, in der Kardinal Meisner in Louis-de-Funès-Manier „Frau Gott“ begegnet und sich über das Richter-Fenster im Kölner Dom ereifert. Oder die Persiflage auf eine konservative Fastnachtssitzung in zwei Minuten: „Einmalig, immer herrlich, immer Augenweide!“

Jedes Jahr aufs Neue fiebert man der Stunksitzung entgegen, die der WDR dankenswerterweise als festen Teil in seinem Karnevalsprogramm hat: einmal als 90-minütige kurze und einmal als dreistündige lange Version. Man selbst sitzt im heimischen Rheinhessen bei einem frisch gezapften Kölsch auf der Couch und denkt sich, dass man, obwohl der Fastnacht eigentlich wenig zugetan, da doch mal hinmüsste. Karten hierfür sind allerdings heißbegehrt und dementsprechend schnell weg: Pro Session bietet die Tuschfactory GmbH als Trägerin der Stunksitzung rund 50 [sic!] Veranstaltungen für 55.000 fantasievoll kostümierten Jecken. Das Publikum ist ohnehin wichtiger Bestandteil der Sitzung, denn seine Stimmung ist, anders als das telegene Lachen bei den konventionellen TV-Formaten, echt und authentisch.

2021 gab es nun eine Corona-Variante, die bis zum 11. Februar 2022 in der WDR-Mediathek zu sehen ist und der Leserschaft unbedingt ans Herz gelegt sei. Biggi Wanninger präsentiert aktuelle Sketche und Klassiker aus der Konserve. Egal, alle Beiträge eint nämlich eines: die grundsympathische, ehrliche und arglose Art, mit der die Mimen hier ans Werk gehen. Da wird nicht plump beleidigt, wie jüngst in Mainz, wo man den deutschen Wirtschaftsminister Peter Altmeier meint schon witzig darzustellen, indem man ihn permanent essen und zum Schluss als einzigen Redebeitrag fragen lässt, ob er mal aufs Klo dürfte. Nein, in Köln ist die Kritik deftig, aber immer auch mit einem liebevollen Touch. Nur gegen Rechts teilt man bewusst schärfer aus, doch auch dies stets mit dem gut geführten Florett. In diesem Jahr stellt Reichskanzler Höcke sein Kabinett vor – mit dem Wendler als Kulturminister.

Das ganze Team um Regisseur Thomas Köller glänzt in jeder Session mit ungebremster Spielfreude und wird dabei von der kongenialen Band „Köbes Underground“ mit ihren geistvollen Coverversionen flankiert – grandiose Mucke, wunderbar gesungen von Ecki Pieper, den man, wie alle Mitwirkenden, einfach sofort gernhat. Wenn er im Hasenkostüm auf „I’m so excited“ der Pointer-Sisters „Scheiße verkleidet“ singt oder sich auf Dusty Springfields „Son of a Preachers Man“ als Sohn vom „Bofrost-Mann“ outet, ist man nicht nur bestens unterhalten, sondern staunt ob dieser überschäumenden Kreativität.

Die Sketche sind klug komponiert und professionell umgesetzt – allerdings mit dem Charme des nicht allzu Professionellen, dessen Protagonisten sich selbst nicht zu ernst nehmen und dadurch umso herzlicher, origineller und überzeugender rüberkommen. Die Mischung aus Karneval und Kabarett sowie lokalen und allgemeinen Themen, bedingt die unglaublich hohe Güte eines jeden Auftritts. In einem Interview betonte Jürgen Becker mal, er proklamiere für sich das „Recht auf Albernheit“: In der Kölner Stunksitzung wird genau das gelebt – originell, nachhaltig und ansteckend.

Die Stunksitzung 2021 ist in der ARD-Mediathek zu sehen. Oder hier: https://www.youtube.com/watch?v=d0UZRzDRk9k. Bei youtube.de gibt es auch Ausgaben früherer Jahre sehen.

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