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Suchtpotenzial sind die neuen Missfits!

MAINZ (14. September 2020). Im März spielte das Duo „Suchtpotenzial“ das letzte Mal vor dem Lockdown im Unterhaus. Damals erhielten Ariane Müller und Julia Gámez Martin den Deutschen Kleinkunstpreis und es war ein ulkiger Zufall, dass am gleichen Tag auch Gerburg Jahnke ausgezeichnet wurde: Denn mit „Suchtpotenzial“ scheinen die legendären „Missfits“, die Jahnke damals mit Stephanie Überall bildete, ein krachendes Revival zu feiern – frisch, frech und feminin, köstlich derb und anzüglich.

War man also 2005 über das Ende der „Missfits“ traurig, gibt es mit dem vor sieben Jahren gegründeten „Suchtpotenzial“ viele Gründe zur Freude: Da ist vor allem die Direktheit, mit der Martin und Müller agieren. Das mag anfangs leicht irritieren, erweist sich aber rasch als tragendes Element. Dann die Musikalität: Beide sind großartige Sängerinnen und beherrschen alle Stile und Dynamiken, um über #metoo, deutsche Dialekte, Krankheiten oder Liebe zu singen. Die „Frauen in der Rushhour des Lebens“ sind mittlerweile auf der Überholspur angekommen und ihre Pointen wirken wie dauerhaftes Hupen mit Fernlicht.

Ihre Freude, endlich wieder in einem richtigen Theater zu spielen, ist ansteckend. Der Pandemie ist auch das erste Lied gewidmet: Es geht um Systemrelevanz. Und um den „Luxus“, den Kultur ja angeblich darstellt: „Die Welt dreht sich auch ohne uns weiter – doch nicht so bunt und nicht so heiter.“ Überhaupt Corona: Fühlen sich da nicht andere Krankheiten mittlerweile diskriminiert? Das aktuelle Programm heißt „Sexuelle Belustigung“ und ist nicht nur qua Formulierung ein beherzter Griff in den thematischen Schritt: Vielleicht hat ja sogar Rolf Zuckowski wie weiland Harvey Weinstein mal seine Finger nicht bei sich halten können? Man weiß es ja nicht.

Nicht nur musikalisch stimmt die Interaktion zwischen Sängerin Martin und Müller an Flügel, Gitarre und Mikrofon: Sie bilden einfach ein unglaublich vitales Duo mit Witz und Esprit, das sich nach einem Lied über Freundschaft dann selbst wegen des richtigen Rezepts für einen Kartoffelsalat feurig in die Haare kriegt. Das Dumme an ihren klug getexteten und hinreißend dargebrachten Liedern ist nur, dass sie irgendwann zu Ende sind. Denn einem Song wie dem über die „Payback-Methode“, in dem die beiden es nervigen Zeitgenossen heimzahlen, könnte man ewig lauschen: Da verstecken sie sich in Baumärkten vor Mitarbeitern, klingeln bei Zeugen Jehovas und kacken Tauben vom höher gelegenen Ast auf den Kopf: Schon das Zuhören befreit.

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