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Was ist schon normal?

MAINZ (2. November 2022). Für sein neues Programm „Normal ist das nicht“ geht Martin Zingsheim zum Gegenangriff über und setzt das Thema Corona gewitzt in Szene, um Verschiedenes und vor allem sich selbst zu hinterfragen. Denn wenn uns die Pandemie und brandaktuell der russische Angriffskrieg auf die Ukraine eines gelehrt haben, dann das: Normal im Sinne von in Stein gemeißelt ist tatsächlich nichts (mehr).

Zingsheim hinterfragt viel an diesem Abend, der locker prickelnd wie Stand-up-Comedy daherkommt: Gedanken, Sentenzen, Kommentare zu allen möglichen Themen, herausgepickt aus der Aktualität ergeben am Schluss ein faszinierendes Panoptikum mit vielen Zerrspiegeln, in die man mal mehr, mal weniger gerne hineinblicken möchte – schließlich könnte einem ja auch selbst aufgehen, dass etwas nicht ganz so normal ist, wie man es selber bisher geglaubt hat.

Zum Beispiel das Menetekel der gedimmten Zimmertemperatur: „Früher waren das 16, 17 Grad – 24 war Zoohandlung.“ Zingsheim selbst wähnt sich natürlich auf der richtigen Seite (und ist hier sicher nicht allein): „Ich bin Sparkassenkunde, habe einen Telekom-Vertrag, fahre einen Volkswagen und bin mit einer heterosexuellen Frau verheiratet.“ Dieser als Conclusio später erneut ausgesprochene Satz mag der Norm entsprechen – aber ist es auch normal oder besser gefragt: Ist alles andere anormal? Ein Synonym für dieses Wort wäre notabene regelwidrig. Doch wer stellt die Regeln auf? Wer bestimmt eine Norm?

Zingsheim misstraut Statistiken und Studien und führt sie trotzdem genüsslich an –solange sie ins eigene Weltbild passen. Oft untermauern sie nur den Irrsinn. So hätten sich in der Pandemie viele Leute ein Wohnmobil gekauft, um klimabewusst aufs Fliegen zu verzichten: „Die fahren jetzt mit dem LKW in den Urlaub und kacken ins Chemieklo.“ Die Aktualität fordert vom Kabarettisten, der sie für seinen Job genau unter die Lupe zu nehmen hat, das neue Lieblingswort des Kölners: Ambiguitätstoleranz, also die Fähigkeit, Vieldeutigkeiten und Widersprüche zur Kenntnis nehmen und ertragen zu können.

In dieser Disziplin ist der Kölner allerdings Meister – wie auch am Klavier, an dem er seine pfiffigen Lieder singt, geschmackvoll begleitet von Martin Weber an Violine und Gitarre. Ob Schrittzähler als App, Netzwerknamen oder Kondome mit Erdbeergeschmack („Es gibt doch auch keine Früchte, die nach Penis riechen.“): Corona hat Zingsheim zur Nabelschau eingeladen, deren Ergebnisse er jetzt vorträgt. Dass er dabei seine vier Kinder im Homeschooling um sich hatte, war kein Problem: dank Einbahnstraßenregelung und 2-G in der Küche.

Normal war eben vieles nicht in dieser Zeit. Doch kommt es nicht immer auch auf den Blickwinkel an? „Zwei Jahre mal nicht ins Kabarett gehen war doch eigentlich kein großes Problem – außer für die Kabarettisten.“ Und braucht man noch Helden wie Super-, Spider oder Batman? Sitzen die nicht eher in den Kitas, Hospizen und Krankenwagen? Diesem neuen Normal widmet Zingsheim ein ergreifendes Lied. Ohnehin halten sich bei ihm das Lachen und die Erkenntnis perfekt die Waage.

Und hat Corona trotz allem nicht auch Denkanstöße und positive Veränderungen gebracht? Hätte man ohne Not über das Homeoffice und die Vorteile von Videokonferenzen diskutiert? Wie sonst könnte man besoffen an einem Zoom-Elternabend teilnehmen? Erkenntnisse in einer Zeit, in der in Jugendherbergen immer noch gefragt werde: „Vegetarisch oder normal?“

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