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„Wir haben das Recht auf Albernheit“

MAINZ (25. Februar 2019). 1992 übernahm der Kabarettist Jürgen Becker die Moderation der WDR-Sendung „Mitternachtsspitzen“ von seinem Kollegen Richard Rogler und ist mittlerweile aus dem TV gar nicht mehr wegzudenken. Becker geht aber auch auf Tournee und gastiert am 14. März im Unterhaus mit seinem Programm „Volksbegehren“. Wir sprachen mit dem Kölner über seine Bühnen- und TV-Präsenz.

schreibwolff.de: Herr Becker, Sie machen seit über 25 Jahren Kabarett auf der Bühne, im TV und im Radio – wo fühlen Sie sich am wohlsten?*

Jürgen Becker: Im Unterhaus in Mainz! (lacht) Ich finde das eigentlich alles schön. Das Prinzip ist ja überall gleich: Man erzählt was, die Leute hören einem zu, bestenfalls lachen sie dann. Und das beglückt mich doch sehr: Lachen ist ein wunderbares Geräusch! Applaudieren kann man ja auch aus Höflichkeit, aber Lachen ist immer echt.

schreibwolff.de: Womit hat es eigentlich angefangen?

Jürgen Becker: 1984 habe ich aus einem Kölner Kindertheater heraus mit Freunden die Kölner „Stunkistzung“ begründet. Damals war ich Präsident und das war im Grunde genommen der Startschuss. Das fing mit drei Sitzungen an, dann sechs, heute sind das ja 62 im Jahr. Im Elferrat hast Du viele Möglichkeiten, Sachen auszuprobieren – was funktioniert und was nicht? Das waren meine ersten Gehversuche. Zum Fernsehen kam ich dann erst acht Jahre später mit den „Mitternachtsspitzen“.

schreibwolff.de: Was sind für Sie die Reize und Vorzüge der jeweiligen Auftrittsformen?

Jürgen Becker: Im Fernsehen bin ich ja auch Gastgeber anderer Kollegen, die man näher kennenlernt, wenn man danach noch zusammensitzt. Und bei Bühnen wie im Unterhaus ist es der direkte Kontakt zum Publikum: Ich gebe ja hinterher immer Freibier aus und da lernt man sich natürlich kennen; dann erzählen die Leute einem was und man kommt zusammen auf Gedanken zum Gehörten, die ich vorher vielleicht gar nicht hatte. Das mag ich sehr.

schreibwolff.de: Gibt es auch Schattenseiten?

Jürgen Becker: Das ist bei der Bühne vor allem der Stau! Ich fahre ja rund 50.000 Kilometer im Jahr. Wenn es sich mit den Requisiten machen lässt, nehme ich auch gerne den Zug. Das Reisen ist manchmal schon sehr anstrengend und zeitraubend. Aber das nehme ich gerne in Kauf und habe immer was zum Hören mit, also Hörbücher oder gute Radiosender.

schreibwolff.de: Seit 1992 moderieren Sie die „Mitternachtsspitzen“ im WDR; die Sendung selbst gibt es seit mehr als 30 Jahren. Was ist wohl das Erfolgsgeheimnis dieses Formats?

Jürgen Becker: Das ist auf jeden Fall die Teamarbeit! Anfangs war ich alleine und habe sofort den Wilfried Schmickler ins Boot geholt. Den kannte ich damals noch gar nicht so richtig, hatte ihn aber für eine Schlussnummer wie damals beim „Blauen Bock“ im Sinn: Das habe ich als Kind so gerne geguckt, denn da gab es den Reno Nonsens, der am Schluss immer für schlechte Stimmung gesorgt hat, indem er alles kritisierte und rumnörgelte. Und genau das macht ja Wilfried am Schluss der „Mitternachtsspitzen“. Das war für mich anfangs gar nicht leicht zu ertragen, aber ich wollte das ja so haben. Dann kam noch der Herbert Knebel dazu und später Susanne Pätzold. Ein Team ist immer schwerer zu ersetzen als eine Einzelperson. Und das war unser Erfolgsrezept, was ich so schon bei der „Stunksitzung“ gelernt hatte. Damit wurden wir zur Marke. Und wir sind dem WDR immer treu geblieben und haben alle Versuche, uns ins Abendprogramm des Ersten zu locken, abgeblockt. Da sind Ton und Bild ja auch nicht besser.

schreibwolff.de: Schauen Sie eigentlich auch privat Kabarett im Fernsehen?

Jürgen Becker: Nein, denn da will ich lieber was anderes machen, also in die Oper oder in Konzerte gehen. Natürlich besuche ich mal Kabarettvorstellungen, aber das auch nicht so gerne, denn wenn die gut sind, ärgere ich mich, dass mir das nicht eingefallen ist. Und wenn das nicht so toll ist, dann hätte ich lieber was anderes gemacht.

schreibwolff.de: In ihren Programmen befassen Sie sich ja auch mit der Bildung. Inwieweit erfüllt das öffentlich-rechtliche Fernsehen seinen Bildungsauftrag, indem es Kabarettsendungen ausstrahlt?

Jürgen Becker: Ich finde, das macht es auf jeden Fall. Nehmen Sie nur die ZDF-Sendung „Die Anstalt“: Das ist ja journalistisch aufbereitetes Wissen, das da vermittelt wird. Was aber auch funktioniert, wenn man das, wie wir in den „Mitternachtsspitzen“, etwas alberner macht. Ich versuche natürlich auch, die Sachen gut zu recherchieren, aber wir haben eben auch ein Recht auf Albernheit. Und auch einen Unterhaltungsauftrag, was wir nicht vergessen wollen: Kabarett dient dazu, die Demokratie freudvoll zu machen. Die Leute sollen Lust auf die Auseinandersetzung mit dem System haben. Das ist bei der Zeitung die Karikatur in der Bleiwüste. Und so ist unser Kabarett im TV in meinen Augen auch Unterstützung des Journalismus.

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