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Publikum als Leinwand

MAINZ (13. Juni 2014). Eine nette – und vielsagende – Szene am Ende der Vorstellung: Eine Dame kommt im kleinen Unterhaus auf eine andere zu und umarmt diese: „Sind Sie die Frau, von der ich die Karte bekommen habe?“, fragt sie – offenbar hatte ihr Gegenüber ein Ticket übrig – und bedankt sich herzlich für „diesen tollen Abend“. Der Künstler, der da so gelobt lobt wird, heißt Martin Zingsheim. Und gemessen am Applaus, den der smarte Kleinkunstpreisträger 2015 entgegennehmen durfte, stand besagte Dame mit ihrer Begeisterung nicht allein.

„Kopfkino“ heißt das neue Programm. Das kann alles heißen – oder nichts. Heute ist ersteres der Fall: Zingsheim verzichtet bewusst auf offensichtliche Struktur, sondern zieht sein Publikum mit Schwung in den „stream of consciousness“, seinen Gedankenstrom, der die Inhalte scheinbar ungeordnet wiedergibt. Zingsheim agiert dabei locker wie ein Stand-up-Comedian der alten Schule. Alles scheint ihm gerade durch den Kopf zu gehen. Das Publikum ist dabei die Leinwand, auf die er seine Gedanken projiziert: „Ein Kabarettist sollte nur über das reden, wovon er wirklich Ahnung hat“, meint der Künstler. In seinem Falle wären das „gut trinkbare Rotweine unter drei Euro“.

Nein, Fusel wird woanders ausgeschenkt: Hier gibt es gehaltvolle und nachhallende verbale Kreszenz. Es geht um Sprache: die des Kindes, die der Politik – wobei kindliche Logik den Heranwachsenden in Zingsheims Augen eigentlich sofort für die Teilnahme an politischen Talkshows qualifiziert. Der Kabarettist Jahrgang 1984 legt es nicht auf den großen Paukenschlag an, sondern lässt seine Pointen wie nebenbei fallen: „Einigkeit und Recht und Freiheit – haben Sie sich schon mal über die Reihenfolge Gedanken gemacht?“

„Kopfkino“ streift alle Themen und hinterlässt an jeder Stelle gehörigen Kollateralschaden. Kultur, Erziehung, Bildung – und natürlich: „Das Mann-Frau-Gedöns – Sie haben über zehn Euro Eintritt gezahlt, sie haben einen Anspruch darauf.“ Wunderbar persifliert Zingsheim den eigenen beruflichen Background, gekonnt zieht er das Genre des Improvisationstheaters durch den Kakao.

Diesem Mann sitzt der Schalk im Nacken und knetet die Lachmuskulatur des Publikums durch. Zingsheim hat einen wachen Blick auf die Gegenwart. Zu Pegida meint er lakonisch, wenn die so weitermachten, würde Dresden in neun Jahren wahrscheinlich wieder bombardiert. An anderer Stelle reicht ein entsprechend betontes Zitat von Kardinal Müller, dass „aktive Homosexualität“ verwerflich sei. Hauptsache, der CIA foltere zukünftig mit Ökostrom und die industrielle Fleischproduktion geschehe unter dem Siegel des Tierschutzes.

Kokett und gekonnt spielt Zingsheim dabei mit der Selbstironie. Selbst seit Monaten versuchsweise Veganer bezeichnet er diese Art der Ernährung als „das neue Aids: Man erhält Mitleid, erfährt aber auch, dass man selbst dran schuld sei.“ Solch knackige Sottisen untermalt er mit gekonnten Einlagen und Songs am Klavier, faszinierend parodiert er Hermann van Veen und Klaus Kinski in einem Atemzug – ein Tausendsassa des Wortes, der sich auf jedes Thema seinen Reim und daraus ein Lied macht.

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