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Scharfzüngige Freigeister

MAINZ (31. Mai 2010). Selten bieten sich Kabarettisten solche Sternstunden wie zu Beginn dieser Woche, als der Rücktritt des Bundespräsidenten noch taufrisch war. Das letzte Mal hatte Matthias Deutschmann am Vorabend des Busch-Besuchs in Mainz diese Chance und spielte statt seines neuen Programms zwei Stunden brillante Polit-Improvisation. Auch das Erste Deutsche Zwangsensemble – Mathias Tretter, Claus von Wagner und Philipp Weber – nutzte die Gunst der Stunde und baute den Coup brandaktuell in ihr Programm „Die letzte Tour“ ein.

„Typisch deutscher Rock’n’Roll: Eine Frau mit Doppelnamen gewinnt den peinlichsten Wettbewerb Europas und am Flughafen wartet Christian Wulff.“ Doch damit nicht genug, denn Deutschlands Bundes-Lena wird auch noch zitiert: „Schloss Bellevue? Jetzt echt? Hammergeil!“

Der Name des Programms ist zum Glück nicht mehr als ein PR-Gag, denn die neue Garde des Ensemble-Kabaretts hat mitnichten vor, sich zu verabschieden – höchstens eben von den Kochs und Köhlers, vom Golf von Mexico, gemeinsam mit der FDP von der Vernunft oder von eingeäscherten Linienflügen. Und natürlich von ihrem Publikum: „Das Durchschnittsalter des Kabarett-Besuchers ist halt sehr hoch. Aber das heißt jetzt nicht, dass wir Abschied nehmen…“ Licht aus und Vorhang zu.

Derart Schlag auf Schlag bringen die drei Kabarettisten in „Die letzte Tour“ ihre Bataillone in Stellung und nehmen im Mainzer Forumtheater das aktuelle Tagesgeschehen rund um den Bundestag unter Dauerbeschuss. Ihre Nummern sind allesamt von einer Schärfe, die einem zuweilen fast den Atem raubt: Bewusst frech erlauben sie sich einen Freigeist, der sich den Tabubruch auf die Fahne geschrieben hat.

Ölkatastrophe, Frühlingsgefühle in katholischen Internaten, Wirtschaftskrise und Bankencrash und natürlich die deutsche Politik sind die lohnenswerten Ziele der Herren Tretter, von Wagner und Weber. In gut gespielten Sketchen und Solonummern geben sie den Bürger, der selbst auf der papierlosen Reichstagstoilette von den Parteien im Stich gelassen wird. Oder Gefängnispädagogin Angela versucht, im Knast Banker und Unternehmensberater zu resozialisieren.

Nicht zu vergessen das Wirken von „Easy war“, die mit dem Slogan: „Sie erklären den Krieg – wir kümmern uns um die Details“ Söldner für die berühmten kriegsähnlichen Zustände weltweit rekrutieren. Und dann reagiert die FDP auf die Kritik an ihrem Chef noch mit dem Diskriminierungs-Joker: „Leute, da sehe ich noch viel auf uns zukommen, denn wir haben ja nicht nur einen schwulen Außenminister, sondern einen Adligen, eine ostdeutsche Frau, einen Philippinen, einen Rollstuhlfahrer und einen pfälzischen Alkoholiker.“ Im ersten Teil halten die drei drauf, dass es eine Freude ist. Und das Publikum scheint sich seine Verdrossenheit von der Seele zu lachen.

Der zweite Teil kommt zahmer, aber nicht weniger witzig daher. Jesus versucht einem Verleger das Neue Testament zu verkaufen: „Ich bin der Weg? Klingt mir zu sehr nach Kerkeling. Schreiben Sie doch was in Richtung spirituelle Feuchtgebiete!“ Alterskriminalität, Ernährung, Bildung und spirituelle Erleuchtung – all das endet schließlich klassisch in einer grandiosen Revue des bissigen Spotts.

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