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Aus dem Notenschrank der Thomaner

ZORNHEIM (14. September 2025). Den Auftakt der diesjährigen Konzertreihe „Furioso!Barock“ machte das Ensemble Amarcord in der katholischen Kirche Zornheim. Das Quintett gehört zu den besten A-cappella-Ensembles weltweit und besteht seit vielen Jahren in unveränderter Besetzung aus Wolfram Lattke und Robert Pohlers (Tenor), Frank Ozimek (Bariton) sowie Daniel Knauft und Holger Krause (Bass). Bereits seit 1992 ergründet Amarcord mit spannenden Programmen und Bearbeitungen vokale Kosmen und lässt einen in seinen Konzerten immer wieder staunen.

Der Titel des in Zornheim gesungenen Programms lautet „Armarium – aus dem Notenschrank der Thomaner“, wobei der Begriff dem Lateinischen entstammt und einen Schrank, eine Truhe oder auch den Raum einer Bibliothek bezeichnet. Abgeleitet vom Begriff „arma“ für Waffe war die ursprüngliche Bedeutung Waffenschrank. Das Armarium des Thomanerchors ist natürlich weit von einem kriegerischen Inhalt entfernt: Die Leipziger Sängerknaben, denen auch die Mitglieder von Amarcord entstammen, singen seit jeher die Frieden stiftenden Botschaften der Musik.

Das Publikum in der nahezu ausverkauften St. Bartholomäuskirche hört Musik vom Mittelalter bis Heinrich Schütz. Wobei Amarcord mit einem Stück aus dem „Thomas-Graduale“ von Anfang des 14. Jahrhunderts beginnt und endet: Über einem orgelpunktartigen Klang erhebt sich eine einzelne Stimme, während sich der Grundsound durch Obertongesang, also die Änderung des intonierten Vokals, polyphon aufzuspalten scheint. Dazwischen singt das Quintett geistliche Werke unter anderem von Sethus Calvisius, Johann Walter, Orlando di Lasso, Heinrich Schütz und Sixt Dietrich.

Dabei überzeugt, ja besticht Amarcord einmal mehr mit seinem nuancenreichen Ton, der sowohl meditative Ruhe schafft als auch im Forte kraftvoll aufblüht: Schließt man in einem solchen Moment die Augen, mag man kaum glauben, hier „nur“ fünf Männerstimmen und keinen die Akkorde blutvoll aussingenden Chor zu hören. Dabei klingt das Quintett stets äußerst homogen und transparent. Und selbst wenn der Tenor von Wolfram Lattke als „Leadsänger“ besonders hell hervorleuchtet, überstrahlt er die anderen keinesfalls: In sich ruhend präsentieren die Stimmen sowohl die Intensität eines fulminanten Bläsersatzes als auch eine fast schon unwirklich zarte Transparenz, die sie mit der Musik eins werden lässt.

„Armarium“ ist trotz nur subtiler Divergenz einzelner Stücke eine spannende und mitreißende Entdeckungsreise und das „Kramen“ im „Notenschrank der Thomaner“ hat selten zu hörende Werke aufs Tapet gebracht, die die musikhistorische Identität des Chores lange vor einem Johann Sebastian Bach prägten. Das Ensemble scheint wie geschaffen, um jene Klarheit, mit der die Komponisten einst Text und Harmonien gestaltet haben, zum Leuchten zu bringen. Und so gleicht dieser Blick ins Armarium einem Labyrinth, in dem man sich nur zu gerne verlieren möchte – einmal mehr schafft es Amarcord, Zeit und Raum für den Moment zu unbestimmten Variablen werden zu lassen.

Das Ensemble sang bereits in über 50 Ländern, schätzt aber offenbar auch die kleinen Dorfkirchen. Wobei Rheinhessen offenbar einen besonderen Reiz auf die Sänger auszuüben scheint: In Zornheim sangen sie bereits im Sommer 2018, nachdem sie die Vocal Summer Class der Landesmusikakademie Rheinland-Pfalz geleitet hatten. 2024 war man in gleicher Funktion in der Ingelheimer Burgkirche zu hören und Mainz steht ebenfalls auf der Liste der stärker frequentierten Spielorte: Des Öfteren war Amarcord bereits Gast im Mainzer Musiksommer und wird am 23. Oktober auch die neue Saison der Mainzer Meisterkonzerte eröffnen.

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