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Der europäische Gedanke in der Musik

MAINZ (18. August 2019). Dass die Mitglieder einer kammermusikalischen Gruppierung auch wirklich zusammenspielen sollten, bedingt den Kunstgenuss ganz beträchtlich. Doch so intensiv, wie das Ensemble Diderot gemeinsam Barockmusik interpretiert – das hat schon etwas Solitäres.

Auf jeden Fall schlug das Musiksommer-Gastspiel von Johannes Pramsohler und Roldán Bernabé (Violine), Gulrim Choi (Violoncello) und Philippe Grisvard (Cembalo) sein Publikum vom ersten Moment an in den Bann und erfüllte den Kirchenraum von St. Antonius mit einer vibrierenden Klangfülle, die einem ohne Probleme eine weitaus größere Besetzung vorspiegeln konnte.

Den Künstlern des Abends ging es darum, den Einfluss des italienischen Stils auf die englische Barockmusik darzustellen: Henry Purcell, John Blow und Robert King waren die britischen Gewährsleute, Giovanni Battista Draghi und Arcangelo Corelli die Südländer, dazwischen England-Auswanderer wie Nicola Matteis, Gottfried Keller oder Gerhard Diessener. Angesichts der Tatsache, dass sich Großbritannien bald aus der Gemeinschaft der Europäer stehlen will, durfte man hier nicht nur interpretatorische Glanzlichter erleben, sondern wurde auch aufs Angenehmste daran erinnert, wie sich die Nationen in früheren Zeiten künstlerisch gegenseitig inspirierten und so Jahrhunderte vor Gründung der EU zumindest in der Musik oft eines Geistes waren.

Thema ist die Triosonate: Zwei gleichlagige Oberstimmen musizieren mit dem Bassregister. Die Theorie wird vom Ensemble Diderot mit unglaublich praller Vitalität gefüllt: Jede Phrase hat Gewicht, wird kraftvoll ausmusiziert und im inneren Gleichklang gestaltet. Das Ergebnis: ein dichter und tönender Ensembleton. Mit binnendynamischen Akzenten spüren die Künstler den kompositorischen Ideen nach und bilden sie konturenreich ab. Von der Virtuosität der Streicher gepackt lauscht man den Solokadenzen oder genießt das Cembalo bei Purcell, das hier fast schon etwas Swingendes hat.

Vor seinem Solo muss Philippe Grisvard nachstimmen und hat danach Probleme mit dem Notenständer, was ein wenig an Ken Wilsons legendären Klappstuhl-Sketch aus dem Jahr 1976 erinnert. Doch beweist auch ein solcher Moment: In einer Welt, die immer mehr ins Virtuelle rutscht, geschieht mit einem Konzert wie diesem große Kunst in Echtzeit. Und wenn das dann „ausgerechnet“ mit Alter Musik passiert, ist das doch ein köstlicher Anachronismus, in dem das expressive Spiel des Ensemble Diderot besonders hell funkelt.

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