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Auftritt mit Seltenheitswert

MAINZ (3. April 2011). „Der Begriff A cappella-Musik wurde seit dem 19. Jahrhundert der Inbegriff für vollendeten Chorgesang“, informiert das Programmheft des jüngsten Konzerts der Voces cantantes in St. Stephan, das die Sängerinnen und Sänger unter Leitung von Alexander J. Süß zugunsten der neuen Orgel dieses Gotteshauses gaben.

Man stellte also hohe Ansprüche an sich selbst und verlieh diesem Auftritt auf jeden Fall einen Seltenheitswert; denn die Voces cantantes sangen neben bekannteren Kompositionen von Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809-1847) und Guiseppe Verdi (1813-1901) sowie der sechzehnstimmigen Festmotette „Omnes Gentes“ aus den 1597 entstandenen „Symphoniae Sacrae“ von Giovanni Gabrieli (1557-1612) zwei Werke, die höchst selten aufgeführt werden: Die Es-Dur-Messe op. 109 von Josef Gabriel Rheinberger (1839-1901) und das Requiem von Peter Cornelius (1824-1874) –diese beiden Werke bildeten denn auch die Höhepunkte des konzertanten Abends.

Enttäuschend fiel hingegen der Beginn aus: Süß hatte seine Sänger für den Gabrieli in vier Gruppen im Kirchenraum verteilt, so dass sich zwar ein interessanter Dolby surround-Effekt herstellen ließ, die nicht unproblematische Akustik von St. Stephan den Klang jedoch zu einem einzigen Brei vermischte. Einzig der Dirigent selbst war im Mittelpunkt seiner Ensembles bestens positioniert, die übrigen Konzertbesucher wurden bevorzugt von einem der vier Chöre beschallt, wobei die Sopranstimmen maßlos übersteuert waren – ein Manko, das auch in der Reprise der Zugabe nicht ausgeglichen wurde.

Dann doch lieber Verdis „Pater noster“ oder Mendelssohns „Denn er hat seinen Engeln“ und der 100. Psalm „Jauchzet dem Herrn“: Hier schwelgte der Chor in romantischer Klangpracht, schlug ansprechende Bögen und vermochte sehr viel homogener und transparenter als zu Anfang zu intonieren. Leichte Trübungen fielen hier weniger störend ins Gewicht als die teils wunderlichen Schweller, die Süß mit Nachdruck singen ließ.

Gleich viel – Rheinberger und Cornelius machten alles wett: Die Messe mit ansprechender Diktion, genauen Einsätzen wie im gestaffelten „Gloria“, eindrücklichem Wechselgesang der einfachen Harmonien und die punktgenau gesetzten Intervalle im „Credo“ sowie der ätherisch erhabene Klang im „Sanctus“ oder das friedvoll ausklingende „Agnus Dei“ – hier zeigte sich, zu welcher Leistung die Voces cantantes in der Lage sind. Gleiches galt für Cornelius‘ Requiem, in dem der Komponist das Poem „Seele, vergiss sie nicht“ von Friedrich Hebbel vertont hat und sich an die Hinterbliebenen wendet, um gegen das Vergessen zu predigen. In diesem Stück überzeugten die Voces cantantes mit dem Umsatz des werkimmanenten Widerspruchs aus tonaler Harmonie und aufgewühlter Dissonanz.

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