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Trost statt Trauer

Das Mozart-Requiem gehört mit Bachs Matthäuspassion und Händels Messias sicherlich zu den am meisten auf Tonträger gebannten Oratorien. Alle drei kommen auf über hundert „Treffer“, sucht man in einschlägigen Klassik-Katalogen danach. Hier also von „Neueinspielungen“ zu sprechen, hat mittlerweile etwas ungewollt Komisches. Und doch schafft es gerade das Mozart-Requiem des Windsbacher Knabenchores unter Karl-Friedrich Beringer, jene Musik in neuem Licht erscheinen zu lassen – und das wortwörtlich.

Die Trauer, die dem Requiem als Totenmesse innewohnt, weicht in dieser Einspielung einer ruhigen Gelassenheit, ja Gewissheit: Erwartung statt Hoffnungslosigkeit führt hier das Ruder. Was schon im ruhigen Introitus beginnt, der als mutiges Gebet ein Zeichen setzt: Stählern, doch voller Wärme tritt hier der Chor auf, wenn er vom ewigen Licht singt, das von den strahlenden Knabenstimmen glaubhaft intoniert wird.

Und dann: Kyrie eleison – Herr, erbarme Dich! Wie Hammerschläge in Christi Kreuzesbalken, wie spitze Schmerzensschreie klingt der Ausruf. Wollen die Sänger mit ihrer glasklaren Deklamation vom Kreuzeshügel wie mit schnellen Schritten fliehen? Hier entlarvt sich die trauernde Seele als Sünder, das Opfer als Täter. Und „Dies irae“, der Tag der Rache folgt als elektrisierendes Gewitter auf dem Fuße: Zitternd wird das Zagen in Klang gefasst, die Angst vor dem strengen Gericht.

Im „Tuba mirum“ stellt sich mit Ruth Ziesak (Sopran), Monica Groop (Alt), Thomas Cooley (Tenor) und Thomas Laske (Bass) das Solistenquartett vor und erweist sich als äußerst transparent und geschmackvoll agierendes Ensemble, das sich mit eleganter Homogenität wunderbar mischt – ein Ebenbild der chorischen Harmonie.

„Rex tremendae majestatis“, dem König schrecklicher Gewalten bereiten die Windsbacher einen majestätischen Empfang. Doch wie vorher die Trauer der Zuversicht weicht, ist hier kein Schrecken zu hören: Man erfleht mit weicher Verletzlichkeit Gnade. Und wie Balsam legt sich das „Recordare“ der Solisten auf das geschundene Gemüt: Laskes Bass glänzt in baritonalem Licht, Cooleys Tenor funkelt mit federnder Leichtigkeit und Ziesaks Sopran ruht mit knabenhaft reiner Höhe auf dem warmen, farbenreichen Alt Groops.

Doch auch wenn sich die Gewissheit um Geborgenheit wie ein roter Faden durch diese Adaption des Requiems zieht, hat Beringer effektvoll Momente der Verzweiflung und Wut eingestreut, um alle Facetten der menschlichen Empfindung abzudecken: Wild schäumt das „Confutatis“ und malt ein Bild der Hölle, als wolle man die Gemälde eines Hieronymus Bosch vertonen. Aber selbst dort leuchtet bereits das ewige Licht, das die Knaben anrührend im schüchternen Gebet äußern und in einen wundervollen Glanz des „Lacrimosa“ münden lassen: Hier sieht man die Sonne, ja den Himmel aufgehen.

Und so könnte man jedes einzelne Stück dieses schon so oft eingespielten und aufgeführten Werkes unter die akustische Lupe nehmen: Immer wieder findet sich etwas Neues, etwas im wahrsten Sinne des Wortes Unerhörtes – Karl-Friedrich Beringer hat mit seinen Windsbachern und dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin einmal mehr eine völlig neue Interpretation von etwas irrtümlich als bekannt und ergründet Empfundenen abgeliefert.

Woran liegt das? Einerseits natürlich am eigenen Klang der Windsbacher, dem Fehlen jeglichen Tremolos, der Spannung der Bögen, der fast schon greifbaren Tonsprache. Mit der Besetzung eines Knabenchores kehrt man zu den Wurzeln der Alten Musik und somit auch ein Stück weit zum Sakralen fernab des Konzertsaals zurück.

Die Interpretation der einzelnen Sätze und ihrer Stimmungen gerät dabei geradezu plastisch: Fast trotzig skandiert der Chor die Verheißung Abrahams und schwebt klangverliebt in den Modulationen des „Hostias“. Monolithisch setzen die Sänger das „Sanctus“ und nach dem wiegenden, tänzerischen „Benedictus“ klingt, nein ist das „Agnus Dei“ aufrichtig, die inkludierte Bitte um Frieden schuldbewusst, aber nicht verzweifelt.

Überhaupt macht Beringer vieles anders als die Kollegen: Dort, wo die Stimmen akzentuiert strahlen könnten (und es in anderen Aufnahmen natürlich auch tun), nimmt er sie zurück, lässt verwundert aufhorchen. Und am Schluss, nach großartigen Bögen wird nochmals das „Lux aeterna“, das ewige Licht besungen: Wie Funken sprühen die Silben in den Koloraturen, um im finalen Klang zu münden. Der aber kommt nicht wie gewohnt mit Macht und als finaler Knalleffekt, sondern nach selbstbewusstem Forte als überraschendes Diminuendo. Man spürt förmlich: Das ewige Licht braucht keinen lauten Akkord. Es scheint auch so. Und bleibt ja…

Das Mozart-Requiem mit dem Windsbacher Knabenchor und dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin ist bei Sony Classical (Nr. 88697574752) erschienen.

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