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Nicht nur der Kongress tanzt

Eine CD mit dem sinfonischen Werk von Werner Richard Heymann (1896-1961) ist in doppelter Hinsicht eine Besonderheit: Zum einen stellt Rondeau mit dieser Produktion Musik in Weltersteinspielung vor, zum anderen darf man einen Komponisten kennenlernen, den man bisher eher (wenn nicht nur) aus der Welt des Revueschlagers und von Filmmusiken der 20er- und 30er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts kannte.

„Die Drei von der Tankstelle“, „Der Kongress tanzt“ oder „Bomben auf Monte Carlo“ mit Liedern wie „Ein Freund, ein guter Freund“, „Das gibt’s nur einmal“ oder „Das ist die Liebe der Matrosen“ – sie gehören zu den Celluloid-Klassikern, deren Klänge nicht zuletzt durch die Arrangements der legendären Comedian Harmonists noch heute Kultstatus genießen. Auf den Namen Werner Richard Heymanns stößt hier freilich nur, wer interessiert nach den Ursprüngen dieses musikalischen Esprits fragt oder das Kleingedruckte auf der Plattenhülle [sic!] studiert.

Und nun hört man Musik für großes Sinfonieorchester und Solostimme sowie kleines Orchester, zwei neu orchestrierte Piècen und eine „Spurensuche für Sinfonieorchester“ nach Themenfragmenten Werner Richard Heymanns von Rolf Rudin, der im Sterbejahr des Komponisten 1961 geboren wurde. Es ist eine spannende Reise, auf die Rondeau einen hier mitnimmt – zu danken ist dabei nicht nur dem von Roland Böer geleiteten Capitol Symphonie Orchester sowie den Solisten Michael Porter (Tenor) und Hans Christoph Begemann (Bariton), sondern auch zahlreichen an der Realisierung dieses Aufnahme beteiligten Sponsoren.

Die Werkfolge geht nicht chronologisch vor: Opus 6 steht vor Nr. 5 und 4 – hätte eine umkehrte Reihung die Entwicklung des sinfonischen Komponisten Heymann vielleicht deutlicher abgebildet? Gleichviel. Die CD beginnt mit einem kurzen Stück, dem „Tanz der Götter“ auf einen Text des chinesischen Lyrikers Li-Tai-Pe (701-762). Eindringlich von Michael Porter intoniert stellt die Musik eine Art Ouvertüre dar, deren strahlender Dur-Schlussakkord zum Hauptwerk des Tonträgers überleitet: der Rhapsodischen Sinfonie für Bariton und Orchester.

In sechs Sätzen – drei rein orchestralen und drei gesungenen – geht es laut Komponist um „die Entwicklung der idealen Liebe in deren universellster Form musikalisch gestaltet“. Bei der Uraufführung dieser Musik war Heymann gerade mal 22 Jahre jung. Die sanften Texte Rainer Maria Rilkes, Walter Rheiners und Heymanns selbst werden von Hans Christoph Begemann anrührend und eindringlich intoniert: Jedes Wort, jede Silbe wird sinnlich ausformuliert, der Solist schwingt sich elegant auch in höchste Höhen, getragen vom formidabel musizierenden Orchester. Die Musiker greifen das feine Gespür des Komponisten für Dramatik vor allem in den rein orchestralen Sätzen sensitiv auf, das später von Heymann bediente Genre der Filmmusik wirft bereits seine Schatten voraus.

Es folgt das in der Chronologie des Entstehens vorangegangene Werk: das Frühlings-Notturno, geschrieben vom seinerzeit 19-jährigen Heymann – die der Musik zugrundeliegenden Verse eines erstaunlich reifen Gedichts des Komponisten sind dankenswerterweise im Booklet abgedruckt. Komplettiert und abgerundet wird das Bild durch zwei seiner Piècen aus der Stummfilmpraxis, bei denen vor allem das mit Verve musizierte „Cortège exotique“ (Exotischer Festumzug) besticht, und einer spannenden „Spurensuche für Sinfonieorchester“ nach Themenfragmenten Heymanns mit dem Titel „Fausts Geheimnis“.

Dieses letzte Werk stellt mit seinen rund 15 Minuten zwei erhaltene Partien einer Filmmusik auf den 1926 entstandenen Stummfilm „Faust – eine deutsche Volkssage“ von Friedrich Wilhelm Murnau („Nosferatu – eine Sinfonie des Grauens“) vor und bindet sie in einen eigenständigen, sinfonischen Kontext ein. Das Finale ist ein gleichsam von Heymann inspiriertes und zu eigenen Bildern inspirierendes Tongemälde – derart einfühlsam interpretiert auf jeden Fall eine kleine Entdeckung.

Werner Richard Heymann (1896-1961): Das sinfonische Werk | Capitol Symphonie Orchester, Roland Böer (Leitung), Michael Porter (Tenor), Hans Christoph Begemann (Bariton) | Rondeau ROP6191

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