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Klingende Momentbeschreibung

„Glaube/Faith – Krise/Crisis – Hoffnung/Hope“: Das Voktett Hannover spielt bewusst mit dem Bibelzitat aus dem ersten Korintherbrief, in dem von Glaube, Liebe und Hoffnung die Rede ist. Doch die persönliche Begegnung wurde von Corona in den vergangenen zwei Jahren nur zu oft verhindert und hat dadurch mancher zwischenmenschlichen Krise Platz gemacht. Insofern ist schon allein das Konzept des Albums eine Aussage.

Auch die Werkauswahl ist ein Statement: Die „Missa Octo Vocum“ von Hans Leo Hassler, die puren und kontemplativen Wohlklang schenkt, wird durch zeitgenössische Werke gleichsam zerteilt: Auf je einen Part der Messe folgen Auftragskompositionen von Max-Lukas Hundelshausen (*1991), Friederike Bernhardt (*1986), Shadi Kassaee (*1999) und Alberto Arroyo (*1989), die mit ihrem zuweilen und vergleichsweise irritierenden Duktus den durch Hassler repräsentierten Ton der Spätrenaissance bewusst konterkarieren – ein akustisches Abbild unserer Tage?

Die CD beginnt mit der wunderschönen Motette „Hear my prayer, o Lord“ von Henry Purcell, die Sven-David Sandström (gerade in den letzten Jahren durch seine Praetorius-Adaption von „Es ist ein Ros entsprungen“ recht präsent) in der ihm eigenen Weise ausgeweitet hat. Das Voktett Hannover besticht hier wie bei der Hassler-Missa durch eine unglaubliche Präsenz, perfekt ausbalancierte Transparenz und Aussprache: Man gerät schnell „in Gefahr“, sich in diesem gleichsam schwebenden Ensembleklang, der seinesgleichen suchen kann, zu verlieren. Ja, man ist gerade und gleich von diesem Purcell/Sandström zu Tränen gerührt, weil einen die Musik derart im Innersten trifft.

Doch die Stimmen wiegen einen in falscher Sicherheit: Mit den zeitgenössischen Werken blitzt immer wieder Irritierendes auf. Bass Sebastian Knappe erklärt in seiner informativen (und leider unglaublich klein gedruckten!) Einführung die Besonderheiten der einzelnen Auftragswerke und ihre Assoziationen zur Aktualität. Auch hier steuert das Voktett Hannover mit bewundernswerter Sicherheit durch die stilistischen (wie bei Hundelshausens Motette „Zeig mir Dein Gesicht“ von Clusterklängen, Glissandi und atonaler Akkordsprache geprägten) Untiefen der ungewohnten, neuen Musik. Inwiefern solche Werke außerhalb ihrer Bestimmung, nämlich Teil des Programms „Glaube/Faith – Krise/Crisis – Hoffnung/Hope“ zu sein, verstanden werden (können), ist natürlich eine spannende Frage, die sich auch nach mehrmaligem Hören nicht endgültig beantworten lässt.

Was man den Künstlern jedoch bescheinigen kann und gerne will, ist auch hier eine faszinierende Kunstfertigkeit, mit der sie sich jedes dieser Stücke aneignen. Der Wechsel von Renaissanceklängen und neuer Musik nicht nur in ihrer Tonalität, sondern auch in ihrer Aussage ist auf jeden Fall durchaus anregend verstörend. Faszinierende Momente schenken besonders der „Innere Gesang“ von Shadi Kassaee und „Letum non omnia finit. Quasi un madrigal“ von Alberto Arroyo, vom Voktett Hannover alternierend mit grandios homogenem Flächenklang und gesprochenem Wort intoniert. Das vor zehn Jahre gegründete Ensemble beweist mit dieser CD nicht nur Stilsicherheit, sondern auch Mut, aus der Konfrontation mit „Unerhörtem“ geistvolle Ideen für ein spannendes Programm zu schöpfen.

Für alle, denen „Glaube/Faith – Krise/Crisis – Hoffnung/Hope“ zu viel abverlangt, hat das Voktett Hannover im Frühjahr 2021 übrigens auch eine sehr gelungene CD mit Weihnachtsmusik aus verschiedenen Epochen vorgelegt. Felix Mendelssohn Bartholdy trifft hier auf Michael Praetorius, Heinrich Schütz auf Irving Berlin und auch eigene Kompositionen von Ensemblemitglied Sebastian Knappe sind zu hören. Auch diese Einspielung dokumentiert, dass das Vokett Hannover zu einem der besten A-cappella-Ensembles gehört, die sich auf diesem aktuell immens bespielten Markt tummeln.

Voktett Hannover: „Glaube/Faith – Krise/Crisis – Hoffnung/Hope“ & „Tidings of Joy“ | ROP6210 & ROP6220

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